„Zu dick und zu schwer“ und doch nur „Papierkram“, so hatte ein Bankkunde in Niedersachsen die Lektüre des Emissionsprospekts abgelehnt.
Der Berater hatte daraus gefolgert, dass der Kunde an einer weiteren Aufklärung über die Risiken des Investments in anderer Form nicht interessiert ist. Er verzichtete in der Folge auf ein persönliches Beratungsgespräch. Doch das höchste deutsche Zivilgericht, der BGH, sah das ganz anders. Der BGH hielt die Schadenersatzforderung für begründet.
Begründung des Gerichts
Nach Auffassung des Gerichts hat der Berater gegen seine Pflicht zur Aufklärung verstoßen. Er hätte in einem persönlichen Gespräch über wesentliche Risiken des Geschäfts informieren oder zumindest darauf aufmerksam machen müssen, dass der Prospekt weitere wichtige, über das Gespräch hinausgehende Hinweise enthalten kann.
Praxistipp | Anlageberatern ist zu empfehlen, ihren Kunden die schriftlichen Unterlagen nahezu aufzudrängen und die Übergabe zu dokumentieren.
Der Schadenersatzanspruch bei einer fehlerhaften Anlageberatung unterstreicht die Bedeutung des jetzt aktualisierten „Gemeinsamen Informationsblatts der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und der Deutschen Bundesbank zum Tatbestand der Anlageberatung“ (siehe 18.2.19; www.iww.de/s2466).
Die wichtigsten Regelungen des Informationsblatts
In dem von der Aufsichtsbehörde frisch aktualisierten Informationsblatt wird unter anderem das Vorliegen einer Empfehlung definiert. Danach gilt Folgendes:
Um eine „Empfehlung“ handelt es sich, wenn dem Anleger zu einer bestimmten Handlung geraten wird. Es kommt nicht darauf an, ob diese Empfehlung tatsächlich umgesetzt wird.
Nicht unter den Begriff der Anlageberatung fällt, so die Aufsichtsbehörden, die bloße Information, beispielsweise die Erläuterung über die Zusammensetzung des Vermögens, ohne dabei konkrete Vorschläge zur Änderung zu machen.
Ebenfalls Voraussetzung für eine Empfehlung i. S. d. KWG (Gesetz über das Kreditwesen) ist die Nennung eines oder mehrerer konkreter Finanzinstrumente. Dabei genügt es, wenn der Berater dem Kunden eine Reihe konkreter Anlagevorschläge unterbreitet, die Auswahl jedoch den Kunden überlässt.
Keine Anlageberatung i. S. d. KWG ist, so die Aufsichtsbehörden, die allgemeine Empfehlung von Anlageklassen (z. B. „Erwerb von Zertifikaten“ oder „Erwerb von festverzinslichen Wertpapieren“) oder die Nennung einer bestimmten Branche (z. B. „Technologieaktien“).
Ebenfalls keine Anlageberatung stellt die Empfehlung von zugelassenen Instituten zur Abwicklung von Geschäften mit Finanzinstrumenten oder die Empfehlung, sich an einen bestimmten zugelassenen Vermögensverwalter zu wenden, der Vermögen von Kunden in Finanzinstrumenten anlegt, dar.
Erfolgt die Empfehlung ausschließlich über Informations-Verbreitungskanäle oder wird diese für die Öffentlichkeit bekannt gegeben, liegt keine erlaubnispflichtige (vgl. § 32 KWG) und aufsichtspflichtige Anlageberatung vor.
Eine Anlageberatung liegt auch vor, wenn sich eine Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers stützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird. Diese Voraussetzung sehen die Aufsichtsbehörden bereits dann als erfüllt an, wenn der Kunde „den betreffenden Dienstleister lediglich in allgemeiner Form über seine finanzielle Situation unterrichtet und der Dienstleister daraufhin Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten empfiehlt“.
Wichtiger Hinweis für die Anlageberatung
Aus Vorsichtsgründen wird ein Anlageberater diese weite Formulierung auch weit auslegen müssen. So könnte die verbreitete Aussage von Kunden, „ich möchte X EUR anlegen“, bereits als eine allgemeine Unterrichtung gewertet werden. Wenn der Anlagevorschlag dann auf diese Summe lautet, wird ein entsprechender Zusammenhang zwischen Unterrichtung und Empfehlung („daraufhin“) anzunehmen sein.
Für die Annahme einer Anlageberatung im Sinne des KWG genügt es alternativ, dass die Empfehlung „als für den Anleger geeignet dargestellt“ wird.
In dem Merkblatt wird dabei auf die Perspektive des Kunden abgestellt. Es reicht aus, „wenn ein Kunde davon ausgehen muss, dass die abgegebene Empfehlung auf einer Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände beruht – auch wenn dies tatsächlich nicht so ist.“ (Merkblatt, S. 3). Bei einer solch weiten Auslegung werden Aufsichtsbehörden möglicherweise selbst Formulierungen wie „Ich selber habe XY Aktien“ oder „Andere Kunden kauften auch …“ als erlaubnispflichtige Anlageberatung interpretieren müssen.
Fundstelle
BGH 7.2.19, III ZR 498/16