Das jederzeitige Bereitstehen des Steuerpflichtigen für einen eventuellen Pflegeeinsatz bei behinderten Angehörigen („Pflege auf Abruf“) ist kein besonderer Umstand, der die generelle Erwerbsobliegenheit volljähriger Personen entfallen lässt.
Der Steuerpflichtige hat grundsätzlich nachzuweisen, dass sich die unterhaltene Person um eine Beschäftigung bemüht hat.
Fehlt es hieran, kommt eine Schätzung der (fiktiven) Einkünfte in Betracht, so der BFH in einer aktuellen Entscheidung.
BFH 15.4.15, VI R 5/14
Sachverhalt
Streitig war, ob Aufwendungen für den Unterhalt einer in Russland lebenden Angehörigen als außergewöhnliche Belastungen (nach § 33a Abs. 1 EStG) zu berücksichtigen sind. Konkret ging es um die Unterstützung der geschiedenen und allein in Russland lebenden, im Streitjahr 60-jährigen Mutter der Steuerpflichtigen, die seit Vollendung ihres 55. Lebensjahres eine Altersrente bezog und zudem staatliche Sozialleistungen erhielt.
Insgesamt stand ihr im Streitjahr ein Betrag von umgerechnet 2.173 EUR zur Verfügung. Vermögen hatte die Mutter der Steuerpflichtigen nicht.
Das FA versagte den Abzug der geleisteten Unterstützungszahlungen als außergewöhnliche Belastung mit dem Hinweis, die Mutter treffe als Person im erwerbsfähigen Alter bis 65 Jahre grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit. Dem hielt die Steuerpflichtige entgegen, dass ihre Mutter wiederum deren 82-jährige Mutter unterstütze, die allein in der Ukraine lebe und seit einem Schlaganfall eine lebenslange Pflege benötige.
Diese Pflege würde an drei Werktagen pro Woche von einem ambulanten Pflegedienst sichergestellt und an den übrigen Tagen und den Wochenenden auf freiwilliger Basis von den Nachbarn der Großmutter übernommen. Zur Überbrückung plötzlicher und unerwarteter Engpässe reiste die Mutter der Steuerpflichtigen jeweils kurzfristig in die zwei Flugstunden entfernte Ukraine, um die Pflege der Großmutter zu übernehmen, sodass eine Erwerbstätigkeit nicht möglich gewesen sei.
Entscheidung
Während das FG der Klage im Wesentlichen statt gab, sieht der BFH dies anders und verwies den Streitfall zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an das FG zurück.
Die für den Abzug nach § 33a Abs. 1 EStG erforderliche gesetzliche Unterhaltsberechtigung knüpft an die zivilrechtlichen Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs an. Bedürftig ist gemäß § 1602 BGB nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Bei volljährigen Personen ist dies nur dann der Fall, wenn diese weder Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit erzielen noch Vermögen haben. Mögliche Einkünfte aus einer unterlassenen Erwerbstätigkeit stehen der Bedürftigkeit entgegen, falls eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist.
Insoweit besteht insbesondere für volljährige Personen eine generelle Erwerbsobliegenheit, es sei denn, dieser kann aufgrund besonderer Umstände, wie z.B. Krankheit, Behinderung oder Arbeitslosigkeit, trotz ordnungsgemäßer Bemühungen um eine Beschäftigung nicht Folge geleistet werden.
Auch das „jederzeitige Bereitstehen“ für einen eventuellen Pflegeeinsatz bei behinderten Angehörigen („Pflege auf Abruf“) ist nach Auffassung des BFH kein Umstand, der die generelle Erwerbsobliegenheit volljähriger, sich im arbeitsfähigen Alter befindender Personen entfallen lässt.
Praxishinweis
Es kann nur in Ausnahmefällen von einem Entfallen der Erwerbsobliegenheit ausgegangen werden. Insbesondere können nur tatsächliche Verhinderungsgründe einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen, nicht dagegen Umstände, die nur möglicherweise eintreten werden, wie ein eventueller Pflegeeinsatz.
Eine „Vorwirkung“ einer in der Zukunft unter Umständen eintretenden Pflegesituation ist deshalb nicht zu berücksichtigen. Dagegen kann Arbeitslosigkeit eine Bedürftigkeit begründen, wenn eine Beschäftigung trotz ordnungsgemäßer Bemühungen nicht gefunden werden kann.
Da das FG diesen Umstand (aus seiner Sicht zu Recht) bislang nicht geprüft hatte, wurde der Fall an die Vorinstanz zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen.