Nicht wenige Steuerberater und andere Freiberufler arbeiten über die gesetzliche Regelaltersgrenze hinweg und zahlen weiter in ihr Vorsorgewerk oder in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Verschieben sie die erste Zahlung ihrer Rente auf später, kann das aber steuerlich nachteilig sein, zeigt ein aktuelles BFH-Urteil.
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks. Er vollendete im Oktober 2009 das 65. Lebensjahr, der damals für ihn geltenden Regelaltersgrenze. Mit diesem Datum erwarb er den Anspruch auf lebenslange Altersrente. Er beantragte jedoch den Beginn der Rentenzahlung über die Altersgrenze hinaus aufzuschieben – und zwar für die längst mögliche Dauer von 36 Monaten nach Erreichen der Altersgrenze und zahlte währenddessen weitere Beiträge ein.
Das Versorgungswerk gewährte Zuschläge zu der nach der regulären Altersgrenze erworbenen Rentenanwartschaft, die sich im Streitfall auf 21,5 % beliefen. Das Mitglied war berechtigt, weitere Beiträge zu leisten (§ 13 Abs. 1 Sätze 7 bis 9 der Satzung des Versorgungswerks). Der Anspruch auf Zahlung der Altersrente begann mit dem Monat, in dem der Anspruch entstand (§ 13 Abs. 7 Satz 2 der Satzung).
Im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2016 setzte das Finanzamt Rentenzahlungen i. H. v. 49.582 EUR an, von denen es einen Rentenfreibetrag von 17.499 EUR abzog. Dieser Rentenfreibetrag war ermittelt worden, indem das Finanzamt auf den Rentenbetrag des dem tatsächlichen Beginn der Rentenzahlungen folgenden Jahres (2013) den für einen Rentenbeginn im Jahr 2012 geltenden gesetzlichen Besteuerungsanteil von 64 % angewendet hatte, sodass sich ein nicht der Besteuerung unterliegender Anteil von 36 % ergab.
Der Kläger begehrte demgegenüber, von einem Rentenbeginn im Jahr 2009 – und damit von einem Besteuerungsanteil von lediglich 58 % – auszugehen. Schon damals habe ein Anspruch auf Altersrente bestanden. Nur der tatsächliche Rentenbeginn sei hinausgeschoben worden. Nach der Satzung des Versorgungswerks stelle sich die Rechtslage so dar, dass der Kläger die Rente bereits mit Vollendung des 65. Lebensjahres erhalten habe, diesen Betrag aber sogleich wieder dem Versorgungswerk zur Erhöhung seiner Rentenansprüche zur Verfügung gestellt habe. Damit sei der Rentenbeginn bereits mit dem Eintritt des Anspruchs auf Rentenzahlung im Jahr 2009 eingetreten.
Entscheidung
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Der Bundesfinanzhof entschied im Ergebnis wie das Finanzgericht Schleswig-Holstein, dass als „Jahr des Rentenbeginns“ in Bezug auf die Altersrente des Klägers der Veranlagungszeitraum 2012 anzusehen ist, der Besteuerungsanteil somit 64 % beträgt und sich der steuerfreie Teil der Rente auf 36 % des im Jahr 2013 bezogenen Rentenbetrags beläuft.
Denn zu diesem Zeitpunkt ist der Rentenanspruch rechtlich entstanden, da die Voraussetzungen für eine Zahlung erfüllt waren. Nach diesem Termin richtet sich das Finanzamt bei der Ermittlung des individuellen Rentenfreibetrags. Mit einem Antrag auf Aufschiebung ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die aufgeschobene Altersrente erstmals bezogen wird.
Praxistipp
Im umgekehrten Fall, wenn vor der Regelaltersgrenze bereits ein Rentenanspruch verwirklicht wird und bereits erste Rentenzahlungen fließen, kann hingegen ein steuerlicher Vorteil insofern entstehen, dass ein niedrigerer Prozentsatz des steuerpflichtigen Rentenanteils anzusetzen ist. Für den BFH ist entscheidend, wann der Anspruch auf die Rente rechtlich entstanden ist und der Renteneintritt erfolgt ist.
Im Ergebnis stimmt der BFH dem Finanzgericht zu, widerspricht ihm aber in einem wichtigen Punkt: Entgegen der vom Finanzgericht angedeuteten Auffassung lässt sich der gesetzlichen Regelungssystematik nicht entnehmen, dass der erstmals für das dem Jahr des Rentenbeginns folgende Jahr zu ermittelnde steuerfreie Teilbetrag der Rente für die Folgejahre eine Bindungswirkung entfalten soll und damit ein eventueller Fehler, der dem Finanzamt bei der Ermittlung des steuerfreien Rententeilbetrags in dem genannten Jahr unterlaufen sein sollte, zwingend auch in die Folgejahre zu übernehmen wäre. Das Finanzamt darf also einen falsch ermittelten Rentenfreibetrag später noch korrigieren.
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BFH 31.8.22, X R 29/20