Lebt der Mandant mit seinem gleichgeschlechtlichen Partner in einer Lebenspartnerschaft, so steht den beiden wie Ehegatten bei der Einkommensteuer die Zusammenveranlagung zu. Doch bei Anträgen auf rückwirkende Gewährung des Splittingtarifs in Jahren mit bereits bestandskräftigen Einzelsteuerbescheiden zeigten sich die Sachbearbeiter in den Finanzämtern zugeknöpft. Wandeln die Partner ihre eingetragene Lebenspartnerschaft rechtzeitig in eine Ehe um, lohnt sich ein neuer Anlauf zum rückwirkenden Splittingtarif.
Bisherige Sichtweise der Finanzämter
Dass Ehegatten und Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft steuerlich gleich zu behandeln sind, steht zwar schwarz auf weiß in § 2 Abs. 8 EStG. In der Praxis wurde diese Gleichbehandlung doch bislang nicht gelebt. Denn beantragten gleichgeschlechtliche Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die rückwirkende Zusammenveranlagung ab 2001, lehnte das FA diese Anträge ab, wenn für die betreffenden Jahre rechtskräftige Einzelveranlagungsbescheide eines Partners oder beider Partner vorhanden waren.
Selbst wenn Lebenspartner in die Ehe für alle wechselten, ließen sich die Finanzämter nicht umstimmen und versagten für Jahre mit bestandskräftigen Einzelveranlagungsbescheiden die Zusammenveranlagung.
Praxistipp | Ein neuer Anlauf, rückwirkend den Splittingtarif durchzuboxen, lohnt sich für all diejenigen, die ihre eingetragene Lebenspartnerschaft in eine „Ehe für alle“ im Sinn des Eheöffnungsgesetzes umwandeln – und das bis spätestens 31.12.2019. So sieht es Artikel 13 unter „Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ im Jahressteuergesetz 2018 vor.
Argumentationshilfen für rückwirkende Zusammenveranlagung
Haben Sie bereits mehrere Abfuhren vom Finanzamt in puncto rückwirkende Anwendung des Splittingtarifs für Ihre Mandanten bekommen und die Mandanten planen die Umwandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft in die Ehe für alle, müssen Sie folgendermaßen vorgehen, um endlich recht zu bekommen:
- Die eingetragene Lebenspartnerschaft muss spätestens bis zum 31.12.2019 in eine Ehe für alle umgewandelt werden.
- Beantragen Sie bis spätestens 31.12.2020 die Aufhebung aller Einzelveranlagungsbescheide rückwirkend bis zu dem Jahr, in dem die eingetragene Lebenspartnerschaft begründet wurde und beantragen Sie die Zusammenveranlagung für Ihre Mandanten.
- Begründen Sie Ihren Änderungsantrag mit § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AO (= Änderung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses).
- Sie können maximal bis ins Jahr 2001 zurückgehen mit Ihren Änderungsanträgen.
Verweisen Sie den Sachbearbeiter im Finanzamt auf Artikel 97 „Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ im Jahressteuergesetz 2018.
In § 9 Abs. 5 Einführungsgesetz der Abgabenordnung (EGAO) steht Folgendes:
Wurde eine Lebenspartnerschaft bis zum 31.12.2019 gemäß § 20a des Lebenspartnerschaftsgesetzes in eine Ehe umgewandelt, sind § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 sowie § 233a Abs. 2a der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden, soweit die Ehegatten bis zum 31.12.2020 den Erlass, die Aufteilung oder Änderung eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung an eine Ehe anknüpfender und bislang nicht berücksichtigter Rechtsfolgen beantragt haben.
Kontert der Finanzbeamte mit einem anhängigen Verfahren beim BFH zu dieser Thematik (BFH, III R 57/18), weisen Sie dezent darauf hin, dass die vom Finanzamt beim BFH eingelegte Revision vom Finanzamt bereits am 10.1.2019 zurückgenommen wurde. Grund für die Rücknahme waren wohl die fehlenden Erfolgsaussichten aufgrund der gesetzlichen Neuregelung.
Praxistipp | Sollte der Sachbearbeiter im Finanzamt sich durch diese ausdrücklich umzusetzenden Argumente aus Unkenntnis nicht überzeugen lassen, bitten Sie ihn darum, sich an die übergeordnete Behörde (Landesamt, Oberfinanzdirektion) zu wenden. Dort ist der auf Bund-Länder-Ebene gefundene Konsens natürlich bekannt.
Auswirkung des rückwirkenden Splittingtarifs auf die Kirchensteuer
Einer internen Verfügung des Landesamts für Steuern und Finanzen Sachsen aus 2019 kann entnommen werden, dass bei Umwandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft in die Ehe für alle hinsichtlich der Kirchensteuer die gleichen Rechtsfolgen zu ziehen sind wie bei der Einkommensteuer (sog. Akzessorietätsprinzip).
Beachten Sie | Die antragsgemäße rückwirkende Behandlung als Ehegatten bei der Einkommensteuer im Wege der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG kann damit auch zu einem nachträglich zu erhebenden besonderen Kirchgeld führen. Das sollten Sie bei den Vergleichsrechnungen zur Frage, ob sich ein Antrag auf rückwirkende Zusammenveranlagung lohnt, einkalkulieren.
Auswirkung des rückwirkenden Splittingtarifs auf die Verzinsung
Auf Bund-Länder-Ebene wurde klargestellt, dass der Antrag auf rückwirkende Anwendung des Splittingtarifs als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 AO anzusehen ist. Das bedeutet für die Verzinsung nach § 233a AO, dass der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag nach Artikel 97 § 9 Abs. 5 EGAO gestellt wird, beginnt. Im Klartext bedeutet das:
* Werden Einzelveranlagungsbescheide aufgehoben und es kommt zu Steuernachzahlungen, müssen keine Nachzahlungszinsen ans Finanzamt gezahlt werden.
* Im Gegenzug bekommen die Mandanten bei hohen Steuererstattungen wegen Anwendung des Splittingtarifs für lange zurückliegende Steuerjahre aber auch keine Erstattungszinsen überwiesen.
Lohnt sich die Antragstellung in jedem Fall?
Ob sich der Antrag auf Aufhebung der Einzelveranlagungsbescheide rückwirkend für die Jahre ab 2001 lohnt, hängt von den individuellen steuerlichen Gegebenheiten der gleichgeschlechtlichen Eheleute ab. Aufschluss kann hier nur eine Vergleichsrechnung mit der Steuerbelastung laut Einzelveranlagung und Zusammenveranlagung ergeben. Folgende Faustformel gibt jedoch bereits erste Anhaltspunkte:
- Haben die gleichgeschlechtlichen Ehepartner in etwa das gleich hohe zu versteuernde Einkommen, spricht das gegen Steuerentlastungen in der Vergangenheit. Der Splittingtarif bringt hier gegenüber dem Grundtarif keine Steuervorteile.
- Der Splittingtarif entfaltet seine Steuersparwirkung im Vergleich zum Grundtarif, wenn einer der gleichgeschlechtlichen Ehepartner entweder Alleinverdiener war oder wenn einer der Ehepartner zumindest 60 % des gemeinsamen zu versteuernden Einkommens bezogen hat.