Stein des Anstoßes sind die unionsrechtlichen Anforderungen an den Vorsteuerabzug. Der BFH sieht unterschiedliche Anforderungen an den Vorsteuerabzug als klärungsbedürftig an und hatte daher zwei deutsche Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH formuliert. Gleichzeitig wurde der EuGH vom BFH gebeten, sich zum Vertrauensschutz des Rechnungsempfängers zu positionieren. Die Schlussanträge des Generalanwalts liegen nunmehr vor. Sie lassen darauf hoffen, dass die bislang strengen deutschen Vorgaben erheblich gelockert werden müssen.
Fundstelle
EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Nils Wahl vom 5.7.16 in den verbundenen Rechtssachen Rs. C-374/16, RGEX GmbH i. L. / Geissel (Az. des BFH: XI R 20/14) und Rs. C-375/15, Igor Butin (Az. des BFH: V R 25/15)
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Sachverhalt 1 (Rs. C-374/16)
Im ersten Sachverhalt erwarb der Steuerpflichtige, ein Kfz-Händler, Fahrzeuge von der X-GmbH. Unter der von der X-GmbH in den Rechnungen angegebenen Anschrift befand sich zwar deren satzungsmäßiger (statuarischer) Sitz. Es handelte sich hierbei jedoch um einen sogenannten „Briefkastensitz“, unter dem der Fahrzeugverkäufer lediglich postalisch erreichbar war. Geschäftliche Aktivitäten fanden dort nicht statt.
Sachverhalt 2 (Rs. C-375-16)
Im zweiten Sachverhalt erwarb ein Steuerpflichtiger, ebenfalls ein Kfz-Händler, mehrere Pkw vom Unternehmer Z, der seinerseits Fahrzeuge im Onlinehandel vertrieb. In den Rechnungen des Z war eine Anschrift angegeben, an der dieser zwar Räumlichkeiten angemietet hatte, die aber nicht geeignet waren, um dort geschäftliche Aktivitäten zu entfalten.
Entscheidung
Nach Auffassung des Generalanwalts ist wie folgt zu entscheiden:
Postfachangabe zulässig
Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie steht nationalen – hier: den deutschen – Rechtsvorschriften entgegen, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug davon abhängt, dass in der Rechnung die Adresse, an der der Aussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, angegeben ist.
Einhaltung von Sorgfaltspflichten sind kein Tatbestandsmerkmal des Vorsteuerabzugs
Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, wonach dann, wenn die formellen Rechnungsanforderungen nicht erfüllt sind, der Vorsteuerabzug nur gewährt wird, wenn der Steuerpflichtige nachweist, alles getan zu haben, was von ihm in zumutbarer Weise verlangt werden kann, um sich von der Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überzeugen.
Anforderungen an das Verwaltungsverfahren
Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die nationalen Verfahrensbestimmungen, nach denen der Steuerpflichtige seinen guten Glauben an die Unversehrtheit der Rechnung geltend machen kann, mit dem Effektivitätsgebot, insbesondere unter Berücksichtigung von Länge, Komplexität und Kosten der betreffenden Verfahren vereinbar sind.
Praxishinweis
Sollte der EuGH wie vom Generalanwalt vorgeschlagen entscheiden, wäre hinsichtlich der Rechnungsangaben etc. wieder alles so wie vor der einschneidenden neuen BFH-Rechtsprechung. Die Diskussion um den Gutglaubensschutz würde aber neue Fahrt aufnehmen – endlich!
Bis zur Entscheidung sollte die Praxis wie an dieser Stelle bereits vorgeschlagen verfahren, d. h., vergleichbare Faktgestaltungen sollten nicht bestandskräftig/rechtskräftig werden.