Der Umsatzsteuerbetrug kostet die Bundesrepublik Deutschland jährlich rund 15 Mrd. EUR. Die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs bleibt damit ein vorrangiges Ziel der Finanzverwaltung. Daran gibt es wenig zu kritisieren.
Kritisch zu sehen ist aber die Art und Weise, wie die Verwaltung die Problematik jetzt angeht.
Da man der wahren Täter eher selten habhaft wird, geht die Tendenz nunmehr dahin, die redlichen Geschäftspartner der Täter ins Unrecht zu setzen und Umsatzsteuereinbußen dadurch auszugleichen, dass den Geschäftspartnern der Vorsteuerabzug versagt wird.
Zu diesem Ziel hat die Finanzverwaltung ein Papier entwickelt, das auffällig gewordenen Unternehmern zunächst „erläutert“ und danach „ausgehändigt“ wird.
Die Unternehmer sollen dies durch ihre Unterschrift bestätigen.
1. Inhalt des von der Verwaltung entwickelten Papiers
Hinweis
Das Papier ist (noch) nicht frei verfügbar.
Die Finanzverwaltung überschreibt das Papier mit „Merkblatt zur Umsatzsteuer – Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbots“ und äußert sich in Abschnitt 1 allgemein zum Umsatzsteuerbetrug durch grenzüberschreitende Lieferketten.
Hierzu ist anzumerken, dass schon die Bezeichnung „Merkblatt“ verharmlosend und damit ein Stück weit irreführend ist. Es geht der Finanzverwaltung nicht darum, dem Unternehmer ein Hilfsmittel an die Hand zu geben. Vielmehr soll der Unternehmer mit dem Ziel belehrt werden, ihn bösgläubig zu machen und später einmal den Vorsteuerabzug und eventuelle Billigkeitsmaßnahmen zu versagen.
Wichtig
Da der Unternehmer zu bestimmten Verhaltensweisen veranlasst und auf die Konsequenzen vermeintlichen Fehlverhaltens hingewiesen werden soll, wäre eine Bezeichnung wie „Belehrung über die Mitwirkungspflichten zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug und die Folgen ihrer Verletzung“ sicher treffender.
In Abschnitt 2 wird die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbot pauschal und unspezifiziert – insbesondere ohne Angabe von Aktenzeichen – in markigen Sätzen wiedergegeben.
Merke
Die Aussagen entstammen zwar der EuGH-Rechtsprechung, werden hier aber aus dem Zusammenhang gerissen. Dass der EuGH diesbezüglich gerade keine Generalisierung wünscht und vielmehr gegensteuert, zeigt sich an seiner jüngeren Rechtsprechung (siehe unten, Abschnitte 2.1 und 2.1).
Als Abschnitt 3 folgt eine „schwarze Liste“, in der die Finanzverwaltung Anhaltspunkte auflistet, die ihres Erachtens für einen Umsatzsteuerbetrug sprechen sollen.
Die vermeintlichen Anhaltspunkte für einen Umsatzsteuerbetrug sind eine „bunte Mischung“ von zweifelsohne kritischen Geschäftsumständen mit solchen, die zum Teil völlig üblich und damit unauffällig oder auch gar nicht nachprüfbar sind. Zu den kritischen Tatbestandsmerkmalen zählen bspw. folgende Umstände:
Einem Einkäufer wird derselbe Artikel noch einmal verkauft. Dies sollte einem Einkäufer sicherlich auffallen (gleiche Fahrzeug-Identifikations-Nummer oder IMEI-Nummer). Der Vorgang spricht für ein „klassisches“ Karussellgeschäft.
Ähnliches gilt für Ware, die weit unter dem Marktwert angeboten wird. Aber muss der Einkäufer auch Preise hinterfragen, die leicht darunter liegen? Kann das von ihm überhaupt erwartet werden oder ist es nicht vielmehr so, dass ein jeder Einkäufer gute Chancen nutzen wird?
Was spricht gegen ein Geschäft mit einem neu gegründeten oder bislang unbekannten Unternehmen? Woraus ergibt sich das Erfordernis eines Abgleichs mit Handelsregisterauszügen? Diese Unterlagen vor einem Geschäft einzusehen, ist den meisten Branchen vollkommen fremd.
Informationen über Lagerkapazitäten des Geschäftspartners abzufragen ist unüblich, die Arbeit mit einer Spedition dagegen in den meisten Branchen an der Tagesordnung.
Ein ausländischer oder im Ausland wohnender Geschäftsführer ist sicher nichts Ungewöhnliches. Gleiches gilt für eine ausländische Internet- oder E-Mail-Anschrift (…@com).
Praxishinweis
Die Tatbestandsmerkmale scheinen weit hergeholt und wenig aussagekräftig. Die Finanzverwaltung wird daher genauestens argumentieren müssen, warum ein Merkmal im konkreten Einzelfall der Annahme eines guten Glaubens entgegensteht. Für den Unternehmer/Berater wird es in der Regel nicht schwer sein, die Argumente zu entkräften.
Das Papier schließt wie folgt:
„… Liegen objektive Umstände vor, die darauf schließen lassen, dass der Unternehmer in einen Umsatzsteuerbetrug eingebunden war und hat der Unternehmer insbesondere oben genannte Anhaltspunkte dafür ignoriert oder übersehen, kann im Einzelfall
die Versagung des Vorsteuerabzugs (§ 15 UStG),
die Versagung der Steuerfreiheit bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG) oder
eine Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Steuer (§ 25d UStG)
als mögliche Rechtsfolge infrage kommen. Der Unternehmer sollte deshalb in der Lage sein, im Einzelfall gegenüber dem Finanzamt dokumentieren zu können, dass aufgetretene Anhaltspunkte untersucht wurden.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Beachtung der Hinweise dieses Merkblattes nicht automatisch zur Gewährung des Vorsteuerabzugs oder der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen führt.
Die o.g. Anhaltspunkte, die auf Umsatzsteuerbetrug hinweisen können, sind nicht abschließend.
Der Unternehmer muss auch bei weiteren Auffälligkeiten seiner kaufmännischen Sorgfaltspflicht nachkommen.
Das Merkblatt wurde erläutert
durch ………………………
Das Merkblatt wurde ausgehändigt an ……………………………………
Datum: ……………………..
Empfang wird bestätigt: ……………………..
Hier zeigt sich, was die Verwaltung will: Dem Unternehmer soll durch das Merkblatt die Gutgläubigkeit im Vorgriff genommen werden.
Praxishinweis
Es stellt sich die Frage, ob der Unternehmer der Aufforderung zur Unterschrift Folge leisten sollte oder nicht. Unterschreibt der Unternehmer nicht, wird der Beamte das Gespräch protokollieren und das Dokument nachweisbar übersenden, etwa per Einschreiben mit Rückschein. Wesentlich wichtiger scheint es zu sein, sofort mit einer Gegenäußerung zu reagieren.
2. Merkblatt widerspricht neuer Rechtsprechung
Das Merkblatt widerspricht folgenden Urteilen:
Dem Urteil des EuGH vom 21.6.2012: Der Einkäufer hat keine generelle Pflicht zur Verifizierung von Eingangsrechnungen.
Dem Urteil des EuGH vom 6.9.2012: Der gute Glaube erfordert nur die verständige Würdigung aller bekannten Umstände.
Dem Urteil des FG Münster vom 12.12.2013: Das Finanzamt muss dem Einkäufer Betrugsabsicht nachweisen, wenn der Vorsteuerabzug versagt werden soll.
3. Gegenäußerung nach Aushändigung des Merkblatts
So pauschal, wie die Finanzverwaltung den guten Glauben durch den Einsatz des Merkblatts zu beseitigen versucht, sollten Unternehmer und Steuerberater versuchen, diesen wieder herzustellen.
Dazu empfiehlt sich – ebenfalls möglichst per Einschreiben mit Rückschein – in etwa folgende schriftliche Gegenäußerung:
Musterschreiben
„Wir bestätigen, das Merkblatt erhalten zu haben, erkennen jedoch nach nochmaliger sorgfältiger Überprüfung unserer Ein- und Verkaufsbeziehungen keinerlei Auffälligkeiten.
Sollten behördlicherseits bereits konkrete andere Erkenntnisse vorliegen, bitten wir zur Abwendung eines Schadens von unserem Unternehmen, uns diese zeitnah schriftlich mitzuteilen.“
Wichtig
Der letzte Satz bringt die Finanzverwaltung insoweit in Zugzwang, als bei einem Zurückhalten besserer Erkenntnisse über eine (Staats)Haftung (§ 839 BGB i.V.m. „Art. 34 GG) nachzudenken sein wird.