Nach BFH-Auffassung ist die ab 2007 geltende Regelung des § 9 Abs. 2 EStG ver-fassungswidrig, soweit Aufwendungen für die Wege zur Arbeit steuerlich nicht abge-zogen werden können.
BFH 10.1.08, VI R 17/07, beim BVerfG unter 2 BvL 2/07; IV R 27/07, DStR 08, 188, BMF 8.10.07, IV A 4 – S 0338/07/0003, BStBl I 07, 723; 4.10.07, IV A 4 – S 0623/07/0002, BStBl I 07, 722; BZSt 18.1.08, St II 2 – S 2471 – 313/2007, DB 08, 204 ;FG Niedersachsen 27.2.07, 8 K 549/06, EFG 07, 690, beim BVerfG unter 2 BvL 1/07; FG Saarland 22.3.07, 2 K 2442/06, EFG 07, 853, beim BVerfG unter 2 BvL 2/07
Es handelt sich um Erwerbsaufwendungen, die nach dem objektiven Nettoprinzip zu berücksichtigen und nicht wesentlich privat motiviert sind. Die Neuregelung berücksichtigt auch nicht den Fall beiderseits berufstätiger Ehegatten und das Gebot zum Schutz von Ehe und Familie. Der BFH hat deshalb zwei Verfahren wie zuvor bereits die FG Niedersachsen und Saarland dem BVerfG vorgelegt. Die vom Gesetzgeber angeführte Haushaltskonsolidierung bietet keinen Grund für die Kürzung.
Der Weg zur Arbeit ist notwendige Voraussetzung zur Erzielung von Einkünften. Bei den Aufwendungen handelt es sich auch nicht um gemischte Aufwendungen. Denn von Berufstätigen kann keine Wohnung in der in der Nähe der Arbeitsstätte gefordert werden. Auch wenn nennenswerte private Gründe die Wohnortwahl beeinflussen, kann daraus nicht auf eine private Mitveranlassung der Fahrtaufwendungen geschlossen werden. Dass Fahrtkosten anfallen, ist nicht durch das Wohnen bedingt. Vielmehr steht das berufliche Erfordernis im Vordergrund.
Der BFH bemängelt auch handwerkliche Fehler bei der Umsetzung des Werkstorprinzips. Denn sonstige Fahrtkosten bei der doppelten Haushaltsführung oder von Behinderten können weiterhin steuerlich mindernd geltend gemacht werden. Zudem kommt es zu einer Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die im Umkreis von 20 Kilometern wohnen, gegenüber den weiter entfernt wohnenden. Im Nahbereich entfallen sämtliche Fahrtaufwendungen, während z.B. Fernpendlern in Fahrgemeinschaften eine Pauschale zugebilligt wird, die möglicherweise ihre tatsächlichen Kosten übersteigt. Diese Differenzierung ist auch als Härteregelung unzulässig.
Die neue Einstufung der Fahrtkosten, indem sie „wie-Werbungskosten“ zu behandeln sind, ist lediglich terminologischer Natur. Vor diesem Hintergrund wäre auch der Zuschlag von 0,03 v.H. des Listenpreises für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem Firmenwagen nach § 8 Abs. 2 EStG nicht mehr gerechtfertigt. Bei einer Zuordnung der Kosten zur Privatsphäre greift die Abgeltungswirkung der 1-v.H.-Regelung. Nicht folgerichtig ist auch § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG, wonach der An-satz der privaten Fahrzeugnutzung ermittelt wird. Die Pendelstrecke zur Arbeit gilt dabei als betriebliche Nutzung.
Das BVerfG wird noch im laufenden Jahr seine Entscheidung fällen. Damit kann es grundsätzlich folgende Lösungen geben:
# Die Kürzung ist generell verfassungswidrig und die Entfernungspauschale ist ab dem ersten Kilometer zu gewähren. Dann ist jedoch eine Minderung der 30 Cent ab dem ersten Kilometer realistisch.
# Das Werkstorprinzip verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz, sodass der Ge-setzgeber die Fahrtkosten nur ganz oder gar nicht streichen kann.
# Neben der Kürzung um die ersten 20 Kilometer ist auch die Höhe der Pauschale mit 30 Cent als Verstoß gegen das Nettoprinzip verfassungswidrig. Dieser Sach-verhalt wird in der Vorlage des FG Saarland zusätzlich behandelt.
# Die Neuregelung ist verfassungsgemäß. Dann entfällt der Vorläufigkeitsvermerk.
Steuertipp:
Einkommensteuer- und Feststellungsbescheide werden in Hinsicht auf die gekürzte Entfernungspauschale bei den Werbungskosten ab 2007 ohnehin für vorläufig erklärt, sodass kein zwingender Handlungsbedarf besteht. Das gilt jedoch nicht in Bezug auf Fahrten im Bereich der betrieblichen Gewinnermittlung, hier hält nur der spätere Einspruch die Bescheide offen.
Die Verwaltung gewährt Aussetzung der Vollziehung für die ersten 20 Kilometer bei Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte, Vorauszahlungs- und Steuerbescheiden ab 2007. Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren erfolgt keine förmliche schriftliche Ablehnung, die Verwaltung unterstellt Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und trägt dann den erhöhten Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte ein. Wer diese Option wahrnimmt, trägt das Risiko der nach-träglichen Verzinsung bei negativem Ausgang.
Unterschreiten Kinder mit der Entfernungspauschale ab dem 1. Kilometer die Einkommensgrenze, werden Kindergeldbescheide vorläufig festgesetzt.