Der Ansatz einer von der gesetzlich typisierten Nutzungsdauer abweichenden, kürzeren wirtschaftlichen Nutzungsdauer setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die Verkürzung als für ihn günstige Tatsache konkret darlegt. Er muss greifbare Anhaltspunkte benennen, die im Einzelfall für eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer sprechen. Das FG Baden-Württemberg hat hierzu jetzt entschieden, dass die in Anlage 22 des BewG aufgeführten typisierten wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauern auf die Schätzung der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG nicht anwendbar sind.
Sachverhalt
Streitig war, ob bei der Vornahme der AfA bei einem Gebäude anstelle der gesetzlich typisierten Nutzungsdauer eine kürzere Nutzungsdauer von 30 Jahren zugrunde gelegt werden kann.
Die Steuerpflichtige errichtete in massiver und hochwertiger Bauweise einen eingeschossigen Anbau an ein mehrstöckiges Gebäude. Im Erdgeschoss befand sich bereits vorher ein Lebensmittelmarkt. Der erweiterte Einzelhandelsmarkt wurde 2011 fertiggestellt. Die Herstellungskosten betrugen einschließlich nachträglicher Herstellungskosten in 2012 rund 1,5 Mio. EUR.
Das FA legte bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bei der Vornahme der AfA die gesetzlich typisierte Nutzungsdauer von 50 Jahren und einen AfA-Satz von 2 % zugrunde (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG).
Dagegen macht die Steuerpflichtige eine tatsächliche Nutzungsdauer von lediglich 30 Jahren geltend, da sie der Auffassung ist, die in der Anlage 22 (zu §§ 185 Abs. 3 Satz 3, 190 Abs. 4 Satz 2) BewG niedergelegte Einschätzung der gewöhnlichen Nutzungsdauer könne für die Schätzung der tatsächlichen Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG grundsätzlich übernommen werden.
Entscheidung
Einspruchs – und Klageverfahren blieben erfolglos.
Das FG entschied, dass bei der Schätzung der Nutzungsdauer von der technischen Nutzungsdauer auszugehen ist, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer ist als die technische Nutzungsdauer, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Eine mit wirtschaftlicher Abnutzung begründete kürzere Nutzungsdauer kann den Abschreibungen nur zugrunde gelegt werden, wenn das Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht ist. Ein wirtschaftlicher Verbrauch ist nur anzunehmen, wenn die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen (anderweitigen) Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist.
Eine Verkürzung der gesetzlichen Nutzungsdauer aus technischen Gründen kam im Streitfall jedoch nicht in Betracht. Das Gebäude ist in Massivbauweise errichtet und von gehobener Qualität. Auch waren keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer wegen technischen Verschleißes begründen könnten.
Der Ansatz einer von der gesetzlich typisierten Nutzungsdauer abweichenden, kürzeren wirtschaftlichen Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die Verkürzung als für ihn günstige Tatsache konkret darlegt und greifbare Anhaltspunkte benennt, die im Einzelfall für eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer sprechen.
Der Vortrag der Steuerpflichtigen, derartige Märkte könnten nach ihren Erfahrungen bereits nach weniger als 20 Jahren nicht mehr als solche genutzt werden und es sei fraglich, ob nach Ablauf des Mietvertrags und der Ausübung einer Verlängerungsoption durch den Mieter angesichts der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation überhaupt eine wirtschaftliche Nutzungsdauer von 30 oder 40 Jahren erreicht werden könne, war für das FG nicht hinreichend substanziiert.
Fundstelle
FG Baden-Württemberg 12.1.18, 13 K 1723/16