Erteilt die Ausländerbehörde rückwirkend einen Aufenthaltstitel, der nach § 62 Abs. 2 EStG zur Inanspruchnahme von Kindergeld berechtigt, so hat dies kindergeldrechtlich keine Rückwirkung.
Für den Anspruch auf Kindergeld ist vielmehr der „Besitz“ eines solchen Aufenthaltstitels erforderlich. Dies setzt voraus, dass der Kindergeldberechtigte den Titel im maßgeblichen Anspruchszeitraum tatsächlich in den Händen hält.
BFH 5.2.15, III R 19/14
Sachverhalt
Streitig war, ob der Antragstellerin für ihre am 31.8.2012 geborene Tochter Kindergeld für die Zeit ab der Geburt bis Juni 2013 zustand. Die Antragstellerin ist nigerianische, die Tochter deutsche Staatsangehörige. Sie reiste mit einem vom 5.11.2011 bis 19.11.2011 gültigen Besuchsvisum in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 27.6.2012 unter Hinweis auf ihre Schwangerschaft eine Duldung. Dem Antrag war eine notarielle Urkunde beigefügt, in der U, deutscher Staatsangehöriger, die Vaterschaft für das zu erwartende Kind anerkannte.
Ab dem 2.7.2012 wurde ihr eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gewährt. Nach der Geburt des Kindes beantragte die Antragstellerin erfolgreich eine Aufenthaltserlaubnis, die letztlich zur Ausübung der Erwerbstätigkeit berechtigte. Im Oktober 2012 beantragte sie bei der Familienkasse Kindergeld. Die Gewährung wurde mit der Begründung abgelehnt, dass kein nach § 62 EStG vorgesehener Aufenthaltstitel vorliege.
Entscheidung
Im Klageverfahren bekam die Antragstellerin recht. Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage ab. Zur Begründung verweist er auf die Regelung in § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG, wonach ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer für Kinder i.S. des § 63 EStG nur dann Kindergeld erhält, wenn er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, sofern es sich nicht um einen der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG genannten Aufenthaltstitel handelt.
§ 62 Abs. 2 EStG knüpft nach seinem eindeutigen Wortlaut an den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis an. Diese Voraussetzung ist jedoch nur und erst dann erfüllt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich in Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in Deutschland durch entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergelds zugebilligt worden ist.
Nicht entscheidend ist dagegen, ob ein Anspruch auf einen entsprechenden Titel bestand. Der Kindergeldanspruch setzt vielmehr voraus, dass der Kindergeldberechtigte im maßgeblichen Streitzeitraum einen Aufenthaltstitel tatsächlich körperlich in den Händen hält.
Im Streitfall hatte die Antragstellerin im Streitzeitraum zunächst keinen der in § 62 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 EStG aufgeführten Aufenthaltstitel. Erst während des Klageverfahrens erhielt sie die Aufenthaltserlaubnis. Die Erklärung der Ausländerbehörde, dass die aufenthaltsrechtliche Wirkung der Aufenthaltserlaubnis ab dem Zeitpunkt der Geburt gelte, ändert nichts an dem Umstand, dass die Antragstellerin in den Monaten August 2012 bis Juni 2013 keinen Aufenthaltstitel besessen hatte und somit auch in diesem Zeitraum nicht kindergeldberechtigt war. Diese Gesetzeslage ist nach Auffassung des BFH auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.