Ein familienähnliches Band erfordert eine Zugehörigkeit zur Familie und die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit der Aufsicht, Betreuung und Versorgung des Pflegekindes. Daran fehlt es bei einem Klinikaufenthalt aufgrund Frühgeburtlichkeit des Kindes und seiner Inobhutnahme durch das Jugendamt. Ein Haushaltswechsel des Kindes während des laufenden Monats kann bei dem neuen Berechtigten ausnahmsweise nicht erst ab dem Folgemonat berücksichtigt werden, wenn eindeutig feststeht, dass es im Monat des Haushaltswechsels nicht zu Doppelzahlungen kommen kann.
Beginn der Haushaltszugehörigkeit
Ein Pflegekind ist eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Ein familienähnliches Band liegt vor, wenn das Kind wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Dies setzt voraus, dass zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht.
Sachverhalt
Im Streitfall wurde das Kind am 7.12.2020 zur Vollzeitpflege in den Haushalt der Pflegeeltern als Pflegekind aufgenommen und erhält Hilfe zur Erziehung nach § 33 SGB VIII. Ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern besteht nicht bzw. bestand seit Geburt nicht. Eine vorrangige Anspruchsberechtigung i. S. v. § 32 Abs. 2 EStG i. V. m. § 64 Abs. 1 EStG konnte daher zugunsten der leiblichen Eltern nicht entstehen.
Entscheidung
Das FG stellte jedoch klar, dass aufgrund der Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt und der bestehenden Notwendigkeit eines Klinikaufenthalts zunächst noch kein familienähnliches Band zwischen dem Kind und den Pflegeeltern entstehen und keine Haushaltsaufnahme im Haushalt begründet werden konnte. Denn faktisch war es von Geburt bis zum 6.12.2020 zu keiner Haushaltsaufnahme im Haushalt der Pflegeeltern gekommen. Eine solche erfolgte erst am 7.12.2020. Erst ab diesem Zeitpunkt bestand zwischen den Pflegeeltern und dem Kind ein familienähnliches Band. Das Kind wurde zur Familie angehörig angesehen und behandelt und hielt sich im Haushalt der Pflegeeltern auf.
Vermeidung von Doppelzahlungen
Grundsätzlich kann nach § 64 Abs. 1 EStG das Kindergeld nur einem Berechtigten gezahlt werden. Doppelzahlungen sind auszuschließen. § 64 Abs. 1 EStG verbietet, dass für dasselbe Kind für denselben Monat zweimal Kindergeld in voller Höhe an verschiedene Berechtigte gezahlt wird.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 70 Abs. 2 EStG. Danach ist insoweit, als in den Verhältnissen, die für die Zahlung des Kindergeldes erheblich sind, Änderungen eingetreten sind, die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung an aufzuheben oder zu ändern. Der Zeitpunkt der Änderung, ab dem die Kindergeldfestsetzung für den zu Beginn des Monats Berechtigten aufzuheben ist, ist wegen des Monatsprinzips der §§ 66 Abs. 2, 71 EStG der Beginn des Folgemonats. Da aufgrund der vorstehenden Überlegungen die Kindergeldzahlung an den zu Beginn des Monats Berechtigten unabänderbar ist, kann eine Doppelzahlung nach der Rechtsprechung des BFH nur dadurch vermieden werden, dass bei dem Haushaltswechsel eines Kindes während eines laufenden Monats dieser Wechsel erst mit Wirkung ab dem Folgemonat zugunsten des neuen Berechtigten berücksichtigt wird.
Im Streitfall folgte das FG Sachsen-Anhalt der Rechtsprechung des BFH zur Festsetzung des Kindergeldes erst im Folgemonat jedoch nicht, da hier eindeutig feststand, dass es im Dezember 2020 nicht zu Doppelzahlungen kommen konnte und demzufolge eine Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes im Dezember 2020 an die Pflegeeltern unproblematisch möglich war. Das FG hat die Revision zugelassen, die die Familienkasse zwischenzeitlich auch eingelegt hat.
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FG Sachsen-Anhalt 2.2.23, 4 K 848/21, Rev. BFH III R 5/23