Das FG Bremen zweifelt daran, ob der Ausschluss des Kindergeldanspruchs für nicht erwerbstätige EU-Bürger für die ersten drei Monate ihres inländischen Aufenthalts mit EU-Recht vereinbar ist und hat daher dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt. |
Hintergrund
Mit dem Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (Illegale BeschG) vom 11.7.2019 wurde die Kindergeldberechtigung für nicht erwerbstätige Unionsbürger für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland ausgeschlossen. Durch § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG soll zur Abwehr einer unerwünschten Zuwanderung in die Sozialsysteme aus einigen EU-Staaten die Anreizwirkung des Kindergelds vermindert werden. Die Vereinbarkeit dieser Regelung mit Unionsrecht ist jedoch umstritten. Im Streitfall ging es um die Klage einer bulgarischen Staatsangehörigen, deren Antrag auf Gewährung von Kindergeld für die Monate August bis Oktober 2019 abgelehnt wurde, da sie in diesem Zeitraum nicht erwerbstätig war.
Das deutsche Kindergeld ist eine Leistung der sozialen Sicherheit, die unter die Verordnung 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) fällt. Art. 4 VO (EG) 883/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Unionsbürger und eigene Staatsangehörige gleich zu behandeln. § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG schließt die Kindergeldberechtigung jedoch nur für Unionsbürger, nicht aber für deutsche Staatsangehörige aus.
Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (RL 2004/38), erlaubt es den Mitgliedstaaten, für die ersten drei Monate des Aufenthalts den Anspruch auf Sozialhilfe auszuschließen. Der deutsche Gesetzgeber geht davon aus, dass die Ungleichbehandlung von Unionsbürgern und deutschen Staatsangehörigen gerechtfertigt ist, da das Kindergeld bei nicht erwerbstätigen Angehörigen anderer Mitgliedstaaten wie eine Sozialleistung wirkt.
Sollte der Ausschluss nicht erwerbstätiger Angehöriger anderer Mitgliedstaaten gegen Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstoßen und nicht durch Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 gerechtfertigt sein, wäre § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht anwendbar. In diesem Fall stünde der Klägerin das begehrte Kindergeld zu.
Da die Entscheidung in dem Gerichtsverfahren von der Auslegung des Unionsrechts abhängt, hat das FG Bremen die Auslegungsfrage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt und das Klageverfahren ausgesetzt.
FundstelleN
* FG Bremen 20.8.20, 2 K 99/20, EuGH C-411/20