Die Steuerbefreiungsvorschriften sind im Unionsrecht oftmals weiter gefasst und damit günstiger als die entsprechenden Regelungen im nationalen Recht. Insoweit stellt sich immer wieder die Frage, ob sich die Betroffenen auf das für sie günstigere Unionsrecht direkt berufen können.
In diesem Zusammenhang war vom BFH zu klären, ob die – unstreitig nicht unter § 4 Nr. 16 UStG fallende – Überlassung von Pflegepersonal nach befreit ist. Der BFH hatte Zweifel an der Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Befreiungsvorschrift.
Er wollte vom EuGH wissen, ob auch eine Zeitarbeitsfirma, die entsprechende Pflegefachkräfte überlasse, als solche Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen sei. Der EuGH entschied jüngst, dass eine Überlassung von Pflegepersonal durch ein Zeitarbeitsunternehmen keine steuerbefreite soziale Dienstleistung ist.
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Sachverhalt
Die Klägerin („go fair“) ist eine Unternehmerin, deren Gegenstand die Arbeitnehmerüberlassung ist. Als Zeitarbeitsunternehmen verlieh sie bei ihr angestellte Pflegefachkräfte an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen. Diese Pflegeeinrichtung i.S.v. „§ 4 Nr. 16 UStG erbringt ihrerseits steuerfreie Umsätze.
Die Arbeitnehmer von „go fair“ waren organisatorisch in die jeweilige Pflegeeinrichtung eingegliedert. Sie führten die Pflegeleistungen im Auftrag dieser Einrichtungen durch und waren insoweit weisungsgebunden. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer/-innen oblag ebenfalls der betreffenden Pflegeeinrichtung.
Der BFH war der Auffassung, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 16 UStG nicht vorliegen, weil die Unternehmerin keine Einrichtung zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen betreibe, sondern einen Arbeitnehmerverleih auf Zeit.
Ihre Umsätze seien daher nicht von dieser Vorschrift umfasst. Der BFH war jedoch der Ansicht, dass „go fair“ eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen i.S.v. Artikel 132 Absatz 1 Buchst. g MwStSystRL erbracht habe und daher nicht auszuschließen sei, dass sich der Unternehmer unmittelbar auf diese Bestimmung berufen könne.
Entscheidung
Dieser Ansicht folgte der EuGH nicht: Er entschied, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht unmittelbar auf Personal eines Zeitarbeitsunternehmens angewandt werden kann.
Zunächst weist der EuGH wieder darauf hin, dass die Steuerbefreiungen nach Art. 132 MwStSystRL eng auszulegen sind. Diese Steuerbefreiungen stellen nämlich eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass alle Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegen.
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von der Umsatzsteuer „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen …, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.
Sofern es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Einrichtung handelt, muss der Mitgliedstaat eine andere Einrichtung entsprechend anerkennen. Dabei ist es Sache jedes Mitgliedstaats, Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen eine Anerkennung gewährt werden kann.
Der deutsche Gesetzgeber hat Zeitarbeitsunternehmen wie „go fair“, die Pflegeeinrichtungen Personal zur Verfügung stellen, nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt. Die Steuerbefreiung kann nicht auf die bei „go fair“ angestellten Mitarbeiter unmittelbar angewendet werden, da diese nichtselbstständig tätig sind. Zu beurteilen ist daher nicht die Pflegedienstleistung des einzelnen Mitarbeiters, sondern die Dienstleistung des Zeitarbeitsunternehmens. Diese Dienstleistung besteht jedoch in einer Arbeitnehmerüberlassung und nicht in der Pflege.
Praxishinweis
Durch das Urteil des EuGH ist klargestellt, dass die Tätigkeit als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung „für sich allein nicht schon“ ausreicht, um selbst als entsprechende Einrichtung anerkannt zu sein. Eine Arbeitnehmerüberlassung ist eben keine soziale Dienstleistung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die überlassenen Arbeitnehmer von einer begünstigten Pflegeeinrichtung eingesetzt und überwacht werden.
Die Arbeitnehmerüberlassung ist sowohl von ihrem Wesen als auch wirtschaftlich klar von der Pflegeleistung gegenüber den pflegebedürftigen Menschen zu unterscheiden. Es besteht auch aus Gleichbehandlungsgründen mit Pflegeeinrichtungen, die eigenes Personal einsetzen, kein Anlass, der Zeitarbeitsfirma die Umsatzsteuervergünstigung zu gewähren.
Die für die Umsatzsteuer relevante Vergleichsgrundlage kann nur in der Erbringung der Pflegeleistung selbst liegen, die mit den Sozialversicherungsträgern abgerechnet wird. Dies ist auch wirtschaftlich das einzig richtige Ergebnis. Die Zeitarbeitsfirma schöpft ihren Gewinn durch die Personalüberlassung ab. Es handelt sich also um eine Vorleistung der Zeitarbeitsfirma und nicht um eine eng mit dem tatsächlichen Einsatz der Pflegekraft verbundene Leistung der Pflegeeinrichtung.
EuGH 12.3.15, C-594/13, DStR 15, 645, auf das Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 21.8.13, V R 20/12, DStR 13, 2509