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Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 4.5.2022 (2 K 2157/21) zur Fehlbeurteilung bei Anwendung des Reverse-Charge-­Verfahrens bei sog. „Bauträger-Altfällen“ entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger betrieb als Einzelunternehmer einen Zimmereibetrieb. Zudem erbrachte er in den Streitjahren Bauleistungen. Dementsprechend wies er in seinen Rechnungen nach dem Reverse-Charge-Verfahren keine Umsatzsteuer aus. Nachfolgend teilte das zuständige FA mit, dass eine Erstattung der Umsatzsteuer beantragt wurde. Der Kläger erklärte daraufhin, dass er seine Ansprüche an das FA abtrete. Am selben Tag übersandte der Kläger daher berichtigte Rechnungen aus den Streitjahren, die nun Umsatzsteuer auswiesen. Am selben Tag wurde das FA über die Zurückweisung und die Aufrechnung gegenüber dem Kläger informiert.

Das FA teilte dem Kläger mit, dass das Abtretungsangebot derzeit nicht angenommen werden könne. In der Abtretungserklärung seien der Leistungsempfänger nicht genannt und der Skontobetrag nicht berücksichtigt. Zudem wurden Einwendungen gegen die korrigierten Rechnungen erhoben sowie die Aufrechnung erklärt. Daher erließ das FA erneut geänderte Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre. Gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide legte der Kläger entsprechend Einspruch ein. Dieser wurde abgelehnt. Woraufhin der Kläger Klage erhob.

Entscheidung

Das FG gab der Klage statt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Annahme des von ihm abgegebenen Abtretungsangebots, da die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG erfüllt sind. Bei der Regelung in § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG handelt es sich entgegen dem Wortlaut um eine Ermessensreduktion auf null (BMF 26.7.17, BStBl I 17, 1001), sodass im Fall einer Abtretung des leistenden Unternehmers keine Steuer durch den leistenden Unternehmer zu zahlen ist. Denn aufgrund der Schutzwürdigkeit des leistenden Unternehmers ist bei der Ermessensentscheidung (Annahme des Abtretungsangebots) zu berücksichtigen, dass dieser sich mit seinen Abrechnungen in den fraglichen Jahren an den Vorgaben der Verwaltung orientiert hat (Weymüller, in: BeckOK UStG, 30. Edition, § 27 Rn. 62.3).

Ob im Streitfall insoweit die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG vorlagen und das Ermessen zur Annahme des Abtretungsangebots somit auf null reduziert war, hätte bereits im Rahmen des Erlasses der geänderten Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre festgestellt werden müssen. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die geänderten Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre rechtswidrig waren und ob bereits Bestandskraft eingetreten war. Denn der durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG angeordnete Ausschluss des abgabenrechtlichen Vertrauensschutzes ist unionsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn das Bestehen und die Abtretbarkeit einer Forderung nicht erst im Anschluss an die Änderung des Umsatzsteuerbescheids, sondern bereits im Festsetzungsverfahren geklärt werden.

Das Finanzamt muss daher nicht erst im Erhebungsverfahren bei einer Entscheidung über die Abtretung, sondern bereits im Festsetzungsverfahren bei der Prüfung der Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG feststellen, ob ein abtretbarer Anspruch des Leistenden gegen den Leistungsempfänger besteht (BFH 23.2.17, V R 16/16, V R 24/16, BStBl II 17, 760).

Formal rechtmäßige Abtretungsangebote

Der Kläger hat auch gegenüber dem FA die Abtretung der Ansprüche erklärt, sodass formal ordnungsgemäße Abtretungsangebote vorliegen.

Zudem beruhte die Annahme der Steuerschuld als Leistungsempfängerin im Streitfall im Vertrauen auf der im Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Verwaltungsanweisung. Sowohl der Kläger als auch die Leistungsempfängerin waren ursprünglich übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer schuldet. Dies entspricht der damaligen Verwaltungsauffassung der Entscheidung des BFH vom 22.8.13 (V R 37/10, BStBl II 14, 128).

Mitwirkung bei Durchsetzung des Abtretungsanspruchs

Der Kläger hat im Streitfall auch bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitgewirkt.

Unter dem Tatbestandsmerkmal des § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG „bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitzuwirken“ versteht das FG im Wesentlichen, die Informationen und vertraglichen Unterlagen, insbesondere die Höhe des möglichen Umsatzsteuernachforderungs­anspruchs betreffend, dem FA bereitzustellen, damit dieses die Umsatzsteuer vom Bauträger nachfordern kann. Diese allgemeine Mitwirkungspflicht begründet in Abgrenzung zu den speziellen Mitwirkungspflichten keine weitergehenden spezifischen Handlungspflichten des Bauleistenden (FG Münster 15.3.16, 15 K 1553/15).

Im Streitfall hat der Kläger dem FA im Ergebnis sämtliche erforderlichen Informationen bereitgestellt, damit die Umsatzsteuer nachgefordert werden konnte. Zunächst bestand zwar Uneinigkeit hinsichtlich der Höhe der erteilten Rechnungen. Letztendlich wurden diese Unstimmigkeiten jedoch beseitigt. Auch hat der Kläger etwaige Unterlagen zur behaupteten Mangelhaftigkeit und deren Behebung bereitgestellt. Es kann sich zudem nicht erfolgreich darauf berufen werden, dass der Anspruch des Klägers auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer bereits verjährt ist.

Relevanz für die Praxis

§ 27 Abs. 19 UStG enthält eine sachlich eigentlich der AO zuzuordnende Korrekturregelung, die aus Anlass der Fehlbeurteilung von § 13b UStG in den sog. Bauträgerfällen geschaffen wurde (Wäger, UStG, § 27, Rn. 41). In seinen Urteilen vom 23.2.2017 (V R 16/16, V R 24/16) hat der BFH demnach entschieden, dass die in § 27 Abs. 19 UStG geregelte Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzung in Bauträgerfällen unter Beachtung der nachfolgenden Voraussetzungen verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Danach sei der durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG angeordnete Ausschluss des abgabenrechtlichen Vertrauensschutzes unionsrechtlich dann zu rechtfertigen, wenn das Bestehen und die Abtretbarkeit einer Forderung nicht erst im Anschluss an die Änderung des Umsatzsteuerbescheids, sondern bereits im Festsetzungsverfahren geklärt werden. Die bereits aus dem Unionsrecht abzuleitenden Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes sowie von Treu und Glauben erforderten zudem, dass der leistende Unternehmer für die in § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG umschriebene Fallgestaltung (Annahme einer Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung und Mitwirkung des leistenden Unternehmers bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs) einen Rechtsanspruch auf Annahme seines Abtretungsangebots hat (BMF 26.7.17, BStBl I 17, 1001, m. w. N.).

Sind der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger insoweit davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer auf eine vor dem 15.2.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist die betreffende Steuerfestsetzung beim Leistenden zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der von ihm entrichteten Steuer fordert (§ 27 Abs. 19 Satz 1 UStG). Diese Regelung ist die Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des BFH (22.8.13, V R 37/10), wonach der Leistungsempfänger die Erstattung der von ihm an das FA gezahlten Steuer mit der Begründung verlangen könne, dass er nach dem Gesetzwortlaut nicht zur Zahlung verpflichtet gewesen sei. Diese Sichtweise des BFH ist schon insofern purer Formalismus, weil der an den Leistungsempfänger erstattete Betrag von diesem sogleich zivilrechtlich an den leistenden Unternehmer weiterzuleiten wäre, welcher den entsprechenden Betrag letztlich an das FA abzuführen hätte (Stadie, UStG, § 27, Rn. 48, m. w. N.).

Das FG hat daher im Streitfall die Revision zugelassen, da die hier streitigen Rechtsfragen letztlich grundsätzliche Bedeutung haben. Insbesondere ist höchstrichterlich nicht abschließend geklärt, welche Auswirkungen das Bestehen der Einrede der Verjährung, eine durch den Leistungsempfänger erklärte Aufrechnung sowie das Berufen auf die Mangelhaftigkeit des Werks auf das Erfordernis eines abtretbaren Anspruchs haben. Auch der Umfang der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, die Rechtsschutzmöglichkeiten des Steuerpflichtigen bei Verweigerung der Annahme des Abtretungsangebots durch das Finanzamt sowie der Beginn der Verjährung des zivilrechtlichen Zahlungsanspruchs sind höchstrichterlich ebenfalls nicht abschließend geklärt.

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FG Berlin-Brandenburg 4.5.22, 2 K 2157/21