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Bei Reihengeschäften ist die Prüfung der Frage, welche von mehreren Lieferungen innergemeinschaftlich steuerfrei erfolgt, anhand der objektiven Umstände des Einzelfalls und nicht anhand der Erklärungen der Beteiligten vorzunehmen.
Erklärungen des Erwerbers können allerdings in der nachgelagerten Prüfung des „Vertrauensschutzes“: („§ 6a Abs. 4 UStG) von Bedeutung sein.
BFH 25.2.15, XI R 30/13, BFH 25.2.15, XI R 15/14, EuGH 16.10.10, Rs. C- 430/09, Euro Tyre Holding, BFH/NV 2011, 397, FG Münster 16.1.14, 5 K 3939/10 U, GStB 2014, 345; nrkr., Az. des BFH: XI R 12/14

Sachverhalt 1

Ein deutsches Unternehmen (A) verkaufte zwei Maschinen an ein US-amerikanisches Unternehmen (B), welches seinerseits die Maschinen an ein finnisches Unternehmen (C) weiterverkaufte. Die Maschinen wurden von einer von B beauftragten Spedition bei A abgeholt und zu C nach Finnland verschifft.
A ging unter Anwendung des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG davon aus, dass die Warenbewegung seinen Lieferungen an B zuzuordnen ist, und fakturierte diese daher als innergemeinschaftliche Lieferungen umsatzsteuerfrei.
Das FA dagegen behandelte die Lieferungen des A als steuerpflichtig.
§ 3 Abs. 6 Satz 6 UStG sei mit den europäischen Vorgaben der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie unvereinbar und daher nicht anwendbar. Zur Begründung verwies das FA auf das an dieser Stelle bereits vorgestellte Urteil des FG Münster vom 16.1.2014.

Entscheidung

Der BFH entschied, dass § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG enthält die gesetzliche Vermutung dahingehend enthält, dass der Ersterwerber bei der Beförderung oder Versendung
als Abnehmer der Vorlieferung und
nicht als Lieferer an den letzten Abnehmer
tätig wird.

Merke

Im Zweifel ist damit die erste Lieferung – im Urteilsfall die Lieferung von A an B – die „bewegte“ und unter den weiteren Voraussetzungen der „§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung umsatzsteuerfrei.
Diese gesetzliche Vermutung kann widerlegt werden (§ 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG).
Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie sieht hierzu keine korrespondierende Regelung vor. Der EuGH betont daher insoweit die Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls. § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG muss in diesem Sinne unionsrechtskonform ausgelegt werden (Rz. 32 des Besprechungsurteils).
Im Urteilsfall konnte die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt werden und war damit anzuwenden; A hatte zutreffenderweise steuerfrei fakturiert.

Praxishinweis

Der Auffassung des FG Münster, die gesetzliche Vermutung sei unionsrechtswidrig und dementsprechend nicht anzuwenden, ist der BFH ausdrücklich nicht gefolgt.
Damit kommt es für die Zuordnung der Warenbewegung allein auf die objektiven Umstände an.
Bloße Absichtsbekundungen der Beteiligten bleiben bei der Frage der Zuordnung – anders als vom FG Münster angenommen – unberücksichtigt.

Anmerkung 1

Nach Auffassung des BFH kann sich A (der erste Lieferant) von B (dem ersten Abnehmer) versichern lassen, dass Letzterer die Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Liefergegenstand Deutschland verlassen hat.
Verstößt B gegen diese Versicherung, kommt die Gewährung von Vertrauens­schutz für A in Betracht und B schuldet ggf. die deutsche Umsatzsteuer (§ 6a Abs. 4 UStG).
A könnte dazu mit folgenden Vertragsklauseln arbeiten:
Musterklausel: … Information über eine weitere Übereignung noch in Deutschland
„Der Vertragspartner zu § … (Käufer) informiert den Vertragspartner zu § … (Verkäufer) dahingehend, dass er die Befugnis, über die Kaufsache (§ …) wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), bereits in Deutschland auf einen Dritten übertragen wird.
Aus diesem Grunde erklärt sich der Käufer mit einer Bruttoabrechnung (inklusive deutsche Umsatzsteuer) einverstanden.“
Musterklausel: … Information über das Unterlassen einer weiteren Übereignung noch in Deutschland
„ Der Vertragspartner zu § … (Käufer) informiert den Vertragspartner zu § … (Verkäufer) dahingehend, dass er die Befugnis, über die Kaufsache (§ …) wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat.
Sollte dies unzutreffend sein oder von der deutschen Finanzverwaltung anders beurteilt werden, wird der Käufer dem Verkäufer die gegen ihn festgesetzte Umsatzsteuer mit Nebenleistungen (Zinsen) nachzahlen.
Sollte der Käufer sich nach Abschluss dieses Vertrages umentscheiden, wird er den Verkäufer umgehend informieren und dann mit einer Bruttoabrechnung (inklusive deutsche Umsatzsteuer) einverstanden sein.“

Anmerkung 2

Vertrauensschutz für das Drittlandsgeschäft?
Der BFH macht den Vertrauensschutz für das EU-Geschäft gesetzestechnisch an § 6a Abs. 4 UStG fest.
Für Ausfuhren fehlt es in § 6 UStG an einer entsprechenden Regelung; gleichzeitig dürfte der vom EuGH entwickelte Vertrauensschutzgedanke aber auch hier zur Anwendung kommen.
Der Ausgang der Revision gegen das Urteil des FG Münster vom 16.1.2014 bleibt also auch weiterhin mit Spannung zu erwarten. Bis zu dem Urteil sollten die bereits empfohlenen Musterklauseln weiterverwandt werden.

Sachverhalt 2

Ein deutsches Unternehmen (A) veräußerte 20 Neufahrzeuge steuerfrei innergemeinschaftlich an ein britisches Unternehmen (B). B veräußerte die Fahrzeuge weiter an ein anderes britisches Unternehmen (C) und fakturierte dementsprechend ein britisches Inlandsgeschäft unter Ausweis der dortigen Mehrwertsteuer.
Die Fahrzeuge wurden sukzessive von einer Spedition bzw. von einer Unterfrachtführerin der Spedition bei A abgeholt und nach Großbritannien transportiert. Empfängerin der Lieferungen war ausweislich der insoweit erstellten CMR-Frachtbriefe und der „certificates of shipment“ jeweils C.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Nachschau bei A ging das Finanzamt (FA) davon aus, dass die streitbefangenen Lieferungen steuerpflichtig seien. Anlass der Nachschau war ein Hinweis der britischen Finanzbehörden, die u.a. B und C als sog. „Missing Trader“ und als Beteiligte eines Umsatzsteuerbetrugs einstuften.
Nach Auffassung des FA ist daher nicht auszuschließen, dass C noch in Deutschland von B die Verfügungsmacht über die Fahrzeuge erlangt hat.

Entscheidung

Der BFH argumentiert wie im Sachverhalt 1 und stellt ergänzend klar, dass auch dann, wenn der zweite Erwerber (C) eine Spedition mit der Abholung von Waren beim Unternehmer (A) beauftragt, eine Steuerbefreiung der Lieferung des A an B möglich ist, wenn C die Verfügungsmacht an den Waren erst erhalten hat, nachdem diese das Inland verlassen haben. Dies sei bei einer Beförderung durch eine von C beauftragte Spedition zwar eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

Praxishinweis

Damit greift also auch in diesem Fall die Legalvermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG: die erste Lieferung ist die „bewegte“ und damit die unter den weiteren Voraussetzungen des „§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG steuerfreie Leistung.