Nimmt eine ärztliche Gemeinschaftspraxis eine Ärztin als weitere Gesellschafterin auf, die an einem neuen Standort eine (Neben-)Betriebsstätte betreibt und dabei Behandlungsverträge mit Patienten abschließt und die Patienten selbstständig behandelt und trägt die neue Gesellschafterin weder Mitunternehmerinitiative noch Mitunternehmerrisiko, erzielt die Gemeinschaftspraxis gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG insgesamt gewerbliche Einkünfte.
Grundsatz
Als Mitunternehmer ist ein Gesellschafter einer GbR nur dann anzusehen, wenn er die Merkmale der Mitunternehmerinitiative und des Mitunternehmerrisikos erfüllt. Beide Merkmale können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein. Ein geringeres mitunternehmerisches Risiko kann durch eine besonders starke Ausprägung des Initiativrechts ausgeglichen werden und umgekehrt. Beide Merkmale müssen jedoch vorliegen. Ob dies zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu würdigen.
Die Kriterien für die Annahme einer freiberuflichen Mitunternehmerschaft unterscheiden sich nicht von denen einer gewerblichen Mitunternehmerschaft. Mitunternehmerrisiko bedeutet Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg eines gewerblichen Unternehmens. Das volle Mitunternehmerrisiko von Gesellschaftern einer GbR ist im Regelfall dadurch gekennzeichnet, dass das Unternehmen im Innenverhältnis (d. h. mit schuldrechtlicher Wirkung) auf gemeinsame Rechnung und Gefahr der einzelnen Gesellschafter geführt wird. Der Gesellschafter muss daher nicht nur am laufenden Unternehmenserfolg beteiligt sein; darüber hinaus müssen die Regelungen des Gesellschaftsvertrags die Gewähr dafür bieten, dass er (grundsätzlich) im Falle der Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses entsprechend seinem Gewinnanteil Anspruch auf den Zuwachs der stillen Reserven des Betriebsvermögens einschließlich des Zuwachses an dem Firmenwert hat.
Entscheidung
Im Streitfall war die aufgenommene Ärztin nicht am laufenden Gewinn der GbR beteiligt, da sie einen monatlichen Festbetrag als Gehalt erhielt. Seit der Aufnahme gilt die Tätigkeit der Steuerpflichtigen deshalb grundsätzlich gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, weil ihre Gesellschafter ab diesem Zeitpunkt eine freie Mitarbeiterin beschäftigt und mit ärztlichen Aufgaben betraut haben. Insoweit waren sie nicht mehr eigenverantwortlich tätig.
Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist ein Angehöriger eines freien Berufs auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Voraussetzung ist jedoch, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Eine aufgrund eigener Fachkenntnisse eigenverantwortliche Tätigkeit liegt nur vor, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Die Eigenverantwortlichkeit erschöpft sich nicht darin, nach außen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der einzelnen Tätigkeit zu tragen. Die Ausführung jedes einzelnen Auftrags muss vielmehr dem Steuerpflichtigen selbst und nicht den qualifizierten Mitarbeitern zuzurechnen sein. Es genügt daher nicht eine gelegentliche fachliche Überprüfung der Mitarbeiter.
Die Steuerpflichtige hatte die Fachärztin für Augenheilkunde als fachlich vorgebildete Arbeitskraft mit der selbstständigen Behandlung von Patienten beauftragt. Deren Tätigkeit war auch nicht von ganz untergeordneter Bedeutung. Vielmehr war und ist sie gem. § 3 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags befugt, allein Behandlungsverträge mit den Patienten abzuschließen und durchzuführen. Sie war auch gem. § 3 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags allein zur Ausübung des fachlichen Direktionsrechts des Arbeitgebers berechtigt und verpflichtet.
Das FG hat die Revision ausdrücklich nicht zugelassen.
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FG Münster 26.11.21, 1 K 1193/18 G,F