Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die dem Steuerpflichtigen erstattet worden sind, sind auch dann mit den Aufwendungen zu verrechnen und dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen, wenn die Erstattung darauf beruht, dass ein Sozialversicherungsverhältnis rückabgewickelt oder rückwirkend umgestellt worden ist.
Sachverhalt
Im Streitjahr 2017 ging es um zusammenveranlagte Eheleute. Die Ehefrau erhielt von ihrer Krankenkasse eine Erstattung von Beiträgen zur Basis-Krankenversicherung und zur Basis-Pflegeversicherung der Jahre 2003 bis 2016. Der Erstattung war ein sozialgerichtliches Verfahren vorausgegangen, in dessen Rahmen festgestellt worden war, dass sie für den genannten Zeitraum zu Unrecht zur freiwilligen Krankenversicherung herangezogen worden sei. Tatsächlich habe sie die Voraussetzungen der Pflichtversicherung erfüllt. Das Versicherungsverhältnis wurde in der Folge rückwirkend umgestellt.
Das FA erfasste die Zahlung der Krankenkasse als erstattete Aufwendungen i. S. v. § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und verrechnete diese zunächst mit den Vorsorgeaufwendungen der Eheleute gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Den verbleibenden Betrag rechnete es gemäß § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzu.
Entscheidung
Einspruch- und Klageverfahren blieben erfolglos. Auch der BFH wies die von den Eheleuten eingelegte Revision als unbegründet zurück.
In den sachlichen Anwendungsbereich der Verrechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und der Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG fallen grundsätzlich alle Zahlungen, die der Steuerpflichtige als Rückfluss von Aufwendungen erhält, die er im Zusammenhang mit den dort jeweils genannten Sonderausgaben getätigt hat. Auf den Grund für den Rückfluss der Aufwendungen kommt es nicht an.
Begründung
Der Begriff „erstattete Aufwendungen“ ist nach Wortlaut und Systematik des § 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3 EStG weit auszulegen. Erstattet i. S. v. § 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3 EStG sind diejenigen Aufwendungen aus dem jeweiligen sachlichen Anwendungsbereich der genannten Regelungen, die dem Steuerpflichtigen in einer Umkehrung der Ausgaben in Geld oder Geldeswert nach Abfluss wieder zufließen. Eine Einschränkung im Hinblick auf den tatsächlichen oder rechtlichen Grund für diesen Rückfluss enthalten die genannten Regelungen ihrem Wortlaut nach nicht.
Auch der Regelungssystematik des § 10 EStG lässt sich eine solche Einschränkung nicht entnehmen. Das spricht dafür, dass im Fall des § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG grundsätzlich alles, was bei dem Steuerpflichtigen als Aufwendungen i. S. v. § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG abgeflossen ist, im Falle des späteren Rückflusses im Wege der Verrechnung erfasst werden soll. Gleichermaßen soll im Fall des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG grundsätzlich alles, was bei dem Steuerpflichtigen als Aufwendungen i. S. v. § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG abgeflossen und nicht im Rahmen des § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG verrechnet worden ist, im Falle des späteren Rückflusses im Wege der Hinzurechnung erfasst werden.
§ 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3 EStG ist insbesondere auch dann anzuwenden, wenn eine Erstattung von Aufwendungen darauf beruht, dass ein Sozialversicherungsverhältnis rückabgewickelt oder rückwirkend umgestellt worden ist. An weitere tatbestandliche Voraussetzungen sind die Verrechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG nicht geknüpft.
Die Hinzurechnung eines aus der Verrechnung des Erstattungsüberhangs verbleibenden Betrags i. S. d. § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG setzt nicht notwendig voraus, dass der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum der Erstattung von Aufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG zugleich entsprechend Aufwendungen getätigt haben muss. Ein „Erstattungsüberhang“ i. S. v. § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG kann daher auch dann vorliegen, wenn der Zahlungsbetrag im Erstattungsjahr 0 EUR betragen hat. Der Erstattung müssen
daher auch keine jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben gegenüber- stehen.
Verfahrensrechtlich ist zu beachten, dass die Verrechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG ihrem Wortlaut nach auch nicht unter dem tatbestandlichen Vorbehalt stehen, dass im Erstattungsjahr hinsichtlich der Zahlungsjahre noch eine Änderungsmöglichkeit nach den §§ 173 ff. AO gegeben sein muss. Denn dies würde dem dargelegten Sinn und Zweck der beiden Vorschriften widersprechen, da andernfalls die Möglichkeit einer „Wiederaufrollung der Steuerfestsetzungen von Vorjahren“ zumindest hypothetisch geprüft werden müsste. Dies liefe dem angestrebten Vereinfachungszweck zuwider.
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