Bezieht ein Kind das von seinen Eltern geerbte Familienheim, greift für dieses geerbte Grundvermögen grundsätzlich die Steuerfreiheit bei der Erbschaftsteuer. Das geerbte Familienheim muss jedoch zwingend für die nächsten zehn Jahre durch den Erben zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden. Wird die Selbstnutzung ohne zwingende Gründe vor Ablauf des 10-Jahreszeitraums beendet, entfällt die Steuerbefreiung rückwirkend. Der BFH hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, wann zwingende und damit unschädliche Gründe für die Beendigung der Selbstnutzung vorliegen.
Grundsätze zur Steuerbefreiung für das Familienheim
Erbt ein Kind das Familienheim seiner Eltern und zieht unverzüglich ein, greift hinsichtlich dieses geerbten Grundvermögens bei der Erbschaftsteuer die Steuerfreiheit (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG). Die Steuerfreiheit gilt jedoch nur bis zu einer Wohnfläche von 200 qm. Die Steuerbefreiung greift ausnahmsweise auch, wenn der Enkel das Familienheim seiner Großeltern erbt, weil sein Vater oder seine Mutter nicht mehr lebt.
Die Steuerbefreiung für ein Familienheim mit Wirkung für die Vergangenheit fällt jedoch weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu eigenen Wohnzwecken selbst nutzt.
Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn der Erbe aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist. In diesem Fall ist die Beendigung innerhalb des 10-Jahreszeitraums für die Steuerbefreiung unschädlich. Solche zwingenden Gründe, die nicht zum Wegfall der Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit führen, sind u. a.:
* Tod des Erben während des 10-Jahreszeitraums,
* Pflegebedürftigkeit des Erben und Einzug in ein Pflegeheim innerhalb des 10-Jahreszeitraums oder
* Zerstörung des geerbten Familienheims durch höhere Gewalt (Brand, Explosion, Hochwasser).
Baulicher Zustand des Familienheims als zwingender Grund
Zieht der Erbe während des 10-Jahreszeitraums aus dem Familienheim aus und beendet somit die Selbstnutzung, weil der bauliche Zustand des Familienheims die Selbstnutzung unmöglich macht, ist der Erbe nicht aus objektiv zwingenden Gründen an der Selbstnutzung gehindert.
Praxistipp
Der zwischenzeitliche Auszug wegen erheblicher Schäden am Gebäude (z. B. nach Hochwasser) sollte durch einen Gutachter schriftlich dokumentiert werden. Nur so besteht die Chance, dass der Auszug nicht den Wegfall der Erbschaftsteuerfreiheit nach sich zieht.
In einer aktuellen Entscheidung des BFH wurde Folgendes geurteilt: Bei dem baulichen Zustand des Gebäudes handelt es sich um Wirtschaftlichkeits- und damit Zweckmäßigkeitserwägungen, denn der bauliche Zustand kann grundsätzlich den Lebensumständen angepasst werden (BFH 1.12.21, II R 18/20).
Folge: Zwingen den Erben bauliche Umstände zum Auszug aus dem geerbten Familienheim, kann die Steuerfreiheit nur gerettet werden, indem er nach den Reparaturen bzw. nach den Sanierungsarbeiten unverzüglich wieder einzieht.
Gesundheitliche Beeinträchtigungen als zwingender Grund
Bisher hat die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit nur dann nicht rückwirkend wegfallen lassen, wenn der Auszug innerhalb des 10-Jahreszeitraums wegen Pflegebedürftigkeit des Erben und Einzug in ein Pflegeheim erfolgte.
In einem aktuellen Urteil des BFH vom 1.12.2021 (II R 18/20) haben die Richter jedoch signalisiert, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen des Erben sehr wohl auch zwingende Gründe darstellen können, wenn sie dem Erben eine selbstständige Haushaltsführung in dem geerbten Familienheim unmöglich machen.
Die Beweislast liegt hier jedoch beim Erben. Er muss sich durch einen Gutachter und einen Arzt bescheinigen lassen, dass er aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, das Familienheim innerhalb des gesamten 10-Jahreszeitraums zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen.
Merke | Versagt das Finanzamt also in alter Gewohnheit rückwirkend die Steuerbefreiung, wenn der Erbe die Selbstnutzung des geerbten Familienheims innerhalb des 10-Jahreszeitraums aus gesundheitlichen Gründen aufgibt, sollte dezent auf die neue BFH-Rechtsprechung verwiesen werden. Inwiefern gesundheitliche Beeinträchtigungen die Steuerfreiheit bei der Erbschaftsteuer retten können, wird das Finanzgericht zu klären haben. Der BFH hat den Streitfall zur Klärung dieser elementaren Fragen ans FG zurückgewiesen.
Einzug in neuen Haushalt muss nicht schädlich sein
Zieht ein Erbe innerhalb des 10-Jahreszeitraums aus gesundheitlichen Gründen aus dem geerbten Eigenheim aus und zieht nicht in ein Pflegeheim, sondern in eine neue Wohnung, kippt die Steuerfreiheit bei der Erbschaftsteuer nach Auffassung des Finanzamts per se. Doch dieser Auffassung der Finanzverwaltung stimmten die Richter des BFH mit dem Urteil vom 1.12.2021 nicht zu. Ob der Erbe nach dem Auszug aus dem Familienheim an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, ist für die Frage des Wegfalls der Steuerbefreiung nicht entscheidend.
Praxistipp
Erstmals hat der BFH somit klargestellt, dass die Hinderungsgründe an der Selbstnutzung sich nur auf die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims beziehen müssen.
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BFH 1.12.21, II R 18/20