Ist der Geschäftsführer einer GmbH ein Minderheitsgesellschafter, können Stimmrechtsvereinbarungen bei der Sozialversicherungspflicht nur dann zu einer Befreiung führen, wenn die Vereinbarungen bereits im Gesellschaftsvertrag der GmbH selbst vorgesehen sind.
Das Bundessozialgericht stellt sich ausdrücklich gegen die insoweit gefestigte anderslautende Rechtsprechung der Landessozialgerichte.
BSG 11.11.15, B 12 R 2/14 R, BSG 11.11.15, B 12 KR 10/14 R,BSG 11.11.15, B 12 KR 13/14 R
Sachverhalt
Der Kläger ist Geschäftsführer einer GmbH. Er ist mit 6 Prozent am Stammkapital beteiligt, die restlichen 94 Prozent hält seine Ehefrau.
Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung wurden nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags mit einfacher Mehrheit des bei der Abstimmung vertretenen Stammkapitals gefasst.
Beschlüsse über Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen, Satzungsänderungen und über die Auflösung der Gesellschaft erforderten eine Mehrheit von drei Viertel des vorhandenen Stammkapitals.
Im Gesellschaftsvertrag war zudem bestimmt, dass jeder Gesellschafter sich in der Gesellschafterversammlung durch einen Mitgesellschafter, durch seinen Ehegatten, durch einen Rechtsanwalt oder einen Steuerberater vertreten lassen kann.
Die Vollmacht, die ein Gesellschafter zur Wahrnehmung seiner Rechte in der Gesellschafterversammlung erteilte, konnte widerrufen werden, und zwar auch dann, wenn der Gesellschafter sie unwiderruflich gestellt hatte.
Außergesellschaftsvertraglich erteilte die Frau ihrem Mann eine notariell beurkundete Vollmacht zur Vertretung in allen Angelegenheiten. Gleichzeitig wurde der Ehemann von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Die Vollmacht wurde jederzeit frei widerruflich erteilt.
Ergänzend trafen die Eheleute folgende (einfachschriftliche) Vereinbarung: „Zum [Datum] überträgt Frau XY ihre Stimmrechte auf Herrn XY. Somit ist Herr XY in allen Angelegenheiten alleinig entscheidungsbefugt.“
Entscheidung
Der Ehemann ist als nicht beherrschender GmbH-Geschäftsführer sozialversicherungspflichtig. Die außergesellschaftsvertraglich getroffene Stimmrechtsvereinbarung führt nicht zur Versicherungsbefreiung.
Ob der Kläger abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche der entscheidungserheblichen Merkmale im Einzelfall überwiegen („BSG, B 12 R 2/14 R, Rz. 18“:http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=14205 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung).
Beachten Sie
Gestaltungen der Gesellschaftsrechts- bzw. Gesellschaftsvertragsrechtslage, wie sie im Urteilsfall durch den schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrag erfolgen sollten, sind im Rahmen der Einzelabwägung – entgegen der Auffassung vieler Landessozialgerichte – nicht (einfach) uneingeschränkt und voraussetzungslos zugrunde zu legen („BSG, B 12 KR 13/14 R, Rz. 23″:http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=14205).
Im Urteilsfall ist die mit dem Geschäftsführer getroffene Stimmbindungsvereinbarung nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden „Rechtsmachtverhältnisse“ mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu „verschieben“, weil der Stimmbindungsvertrag auch die Möglichkeit einer Kündigung vorsah („BSG, B 12 KR 13/14 R, Rz. 25“:http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=14205).
Praxishinweis
Für viele Gesellschaften und deren Geschäftsführer ergibt sich aus der neuen Rechtsprechung Handlungs-, Änderungs- und Anpassungsbedarf. „Steuerberater“: sollten aufgrund der ihnen obliegenden Informationspflicht überdies prüfen, ob und inwieweit sie auf den Mandanten zugehen müssen. Allgemeine Mandantenrundschreiben genügen übrigens nicht.