Die Finanzbehörde darf sich erst dann unmittelbar an andere Personen als den Steuerpflichtigen wenden, wenn sie es im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung aufgrund konkret nachweisbarer Tatsachen als zwingend ansieht, dass der Versuch der Sachverhaltsaufklärung durch den Steuerpflichtigen erfolglos bleiben wird.
BFH 29.7.15, X R 4/14
Sachverhalt
Im Streitfall richtete das FA – ohne den Steuerpflichtigen hierzu vorab um Auskunft zu ersuchen – ein Auskunftsersuchen über Provisionszahlungen an einen Dritten, nachdem ein anderer Lieferant des Steuerpflichtigen „Ausgleichszahlungen“ an diesen mitgeteilt hatte. Das Auskunftsersuchen diente aus Sicht des FA der „Vervollständigung der Prüfung“. Das FG hatte einen Ermessensfehler des FA darin gesehen, dass dieses nicht zuvor den Kläger um Auskunft gebeten hatte, und der Klage stattgegeben.
Entscheidung
Der BFH folgte dem FG und hat die Revision des FA zurückgewiesen. Zwar genüge es, wenn aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalls oder allgemeiner Erfahrungssätze ein Auskunftsersuchen an einen Dritten angezeigt sei. Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO sollten Dritte aber erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch den Steuerpflichtigen nicht zum Ziel führe oder keinen Erfolg verspreche.
Hiervon dürfe die Finanzbehörde nur in atypischen Fällen abweichen. Ein solcher läge vor, wenn aufgrund des bisherigen Verhaltens des Steuerpflichtigen feststehe, dass er nicht mitwirken werde und damit die Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung offenkundig sei. Hieran fehlte es im Streitfall.
Anmerkung
Ermächtigt eine Norm wie § 93 Abs. 1 AO zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so müssen diese – auch im engeren Sinne – verhältnismäßig sein. Dies bedeutet, bei einer Gesamtabwägung von Schwere des Eingriffs und Gewicht der diesen rechtfertigenden Gründe darf Erstere nicht außer Verhältnis zu Letzterem stehen.
Dabei muss beachtet werden, welche Möglichkeiten der Grundrechtsträger hat, eine eventuelle Grundrechtsbeeinträchtigung oder jedenfalls weitere Folgen des Eingriffs abwehren zu können. Wird eine Maßnahme heimlich durchgeführt, so ist es dem Betroffenen faktisch verwehrt, sich gegen sie im Voraus zur Wehr zu setzen.
Folglich muss die Finanzbehörde es im Rahmen der vorweggenommenen Beweiswürdigung aufgrund konkreter Tatsachen als zwingend ansehen, dass die Mitwirkung des Beteiligten erfolglos bleiben wird.
Im Streitfall konnte die Finanzbehörde im Rahmen der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht aufgrund konkreter Tatsachen davon ausgehen, dass die Mitwirkung des Klägers erfolglos bleiben wird.
Praxishinweis
Der BFH stellt noch einmal klar, dass § 93 Abs. 1 Satz 3 AO Ausfluss des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots ist und damit kein Sonderrecht beinhaltet, sondern rein deklaratorisch wirkt.