Wissenschaftlich nicht anerkannt ist eine Behandlungsmethode dann, wenn Qualität und Wirksamkeit nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
Die Feststellung, ob eine Behandlungsmethode wissenschaftlich nicht anerkannt ist, obliegt dem FG als Tatsacheninstanz, so der BFH in einem aktuellen Urteil.
BFH 26.6.14, VI R 51/13
Sachverhalt
Streitig war, ob Aufwendungen für die operative Behandlung eines Lipödems (Liposuktion oder einfach ausgedrückt: Fettabsaugen) als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG absetzbar sind.
Die Krankenkasse der Steuerpflichtigen hatte die Kostenübernahme für eine Liposuktion mit der Begründung abgelehnt, laut Aussage des medizinischen Dienstes der Krankenkasse handele es sich bei der beantragten Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode.
Diese sei so lange von der vertraglichen Kassenleistung ausgeschlossen, bis der gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege über diese Methode bisher nicht vor. Es stünden aus schulmedizinischer Sicht Behandlungsmöglichkeiten, nämlich die konservative Behandlung mittels komplexer physikalischer Entstauungstherapie (manuelle Lymphdrainage, Kompression, Krankengymnastik), zur Verfügung.
Das zuständige Gesundheitsamt erteilte eine Bescheinigung, aus der sich ergibt, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt sei und aus diesem Grund aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden könne. Die psychische Beeinträchtigung könne durch einen kosmetischen Eingriff reduziert werden.
Entscheidung
FA und FG lehnten daraufhin die Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen mit der Begründung ab, bei der Liposuktion handele es sich nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des vorliegenden Krankheitsbildes, sodass für den Abzug als außergewöhnliche Belastungen zwingend ein vor der Behandlung erstelltes (im Streitfall nicht vorliegendes) amtsärztliches Attest erforderlich sei, aus dem sich die Zwangsläufigkeit der durchgeführten Maßnahme ergibt.
Der BFH hob jedoch im Revisionsverfahren die Vorentscheidung auf und verwies den Streitfall zur erneuten Entscheidung an das FG zurück. Zwar ist in § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV vorgesehen, dass der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen ist.
Dies gilt auch bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff , Chelat- und Eigenbluttherapie.
Im Streitfall kommt es daher entscheidend darauf an, ob es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des bei der Steuerpflichtigen diagnostizierten Lipödems handelt.
Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode dann, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn „die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)“ die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht.
Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein.
Das FG hatte sich in seiner Entscheidung jedoch mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt, sondern seine Würdigung wesentlich auf das vorgelegte – negative – amtsärztliche Zeugnis gestützt. Aus der amtsärztlichen Bescheinigung ergaben sich jedoch keinerlei Erkenntnisse, aus welchen Gründen es sich nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Methode handelt.
Auch aus der Aussage der gesetzlichen Krankenkasse und des medizinischen Dienstes, wonach es sich bei der Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode handele, ergibt sich nicht die fehlende wissenschaftliche Anerkennung, denn der Begriff „unkonventionell“ sagt nichts über Qualität und Wirksamkeit der Behandlungsmethode und ihre Anerkennung in der Fachwelt aus. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang ggf. – sofern ihm die nötige Sachkunde fehlt – ein Sachverständigengutachten einholen müssen.