Da das BVerfG die 2007 gekürzte Entfernungspauschale für verfassungswidrig hält, kann diese rückwirkend ab dem 1.1.2007 wieder entsprechend dem Rechtsstand 2006 geltend gemacht werden, d.h. also in Höhe von 30 Cent vom ersten Kilometer an.
Die Bundesregierung will angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation keine Maßnahmen ergreifen, um die mit der Umsetzung des BVerfG-Urteils einhergehenden Steuerausfälle von insgesamt rund 7,5 Mrd. EUR für die Jahre 2007 bis 2009 an anderer Stelle einzusparen.
Frühestens für 2010 wird eine Neuregelung angestrebt.
Das BVerfG hat insbesondere die Willkür des Gesetzgebers beanstandet, nah am Arbeitsplatz wohnende Berufstätige gegenüber den Fernpendlern zu benachteiligen. Wenn eine Gruppe gegenüber anderen bevorzugt wird, muss dies hinreichend begründet sein. Die Haushaltssanierung ist dafür kein ausreichender Grund. Die Urteilsbegründung zeigt aber auch deutlich, dass die Fahrt zur Arbeit die Lebenshaltungskosten tangiert und der Gesetzgeber durchaus einschränkende Regelungen einführen darf. Das gilt umso mehr, je weiter Wohnung und Arbeitsplatz auseinander liegen.
Nachfolgend werden die Auswirkungen in der Praxis für die verschiedenen Jahre und Einkunftsarten vorgestellt:
BVerfG 9.12.08, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, DStR 08, 2460
Regelung ab 2007: BMF 1.12.06, IV C 5 – S 2351 – 60/06, BStBl I 06, 778
Regelung bis 2006: BMF 11.12.01, IV C 5 – S 2351 – 300/01, BStBl I 01, 994
Lohnsteuerpauschalierung: BMF 30.12.08, IV C 5 – S 2351/08/10005
Vorläufigkeit: BMF 15.12.08, IV A 3 – S 0338/07/10010-02
Veranlagungszeitraum 2007
Die Umsetzung des BVerfG-Urteils gilt für Arbeitnehmer, Selbstständige und Arbeitgeber gleichermaßen. Die Finanzämter ändern die Bescheide von Amts wegen bereits seit Mitte Dezember und zahlen Erstattungen aus. Das Verfahren soll möglichst im ersten Quartal 2009 abgeschlossen werden, offensichtlich auch vor dem Hintergrund, dass anschließend Erstattungszinsen nach § 233 AO anfallen. Die Berichtigung der vorläufigen Einkommensteuerbescheide für 2007 erfolgt im Rahmen des § 165 AO. Auch die geänderten Bescheide werden allerdings wieder vorläufig ergehen, weil die vom BVerfG angeordnete gesetzliche Neuregelung noch aussteht.
Wer in seiner Steuererklärung 2007 keine Angaben zu den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gemacht hatte, kann dies nachholen. Eine Änderung der Steuerfestsetzung für 2007 wird dann ebenfalls von Amts wegen veranlasst. Die steuerliche Bemessungsgrundlage mindert sich um bis zu 1.320 EUR.
Unternehmer, Freiberufler, Landwirte oder Beteiligte an einer Personengesellschaft müssen die Anpassung in ihrer Bilanz oder Einnahmen-Überschuss-Rechnung vornehmen und eine Berücksichtigung für 2007 in der Regel selbst beantragen. Dies gilt auch für die Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung, sofern hier die Entfernungspauschale zum Ansatz kommt.
Die Pauschalbesteuerung für Arbeitgeberleistungen wie Fahrtkostenzuschüsse und geldwerte Vorteile im Zusammenhang mit den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind nunmehr im Rahmen der 20-Kilometer-Zone wieder zulässig. Arbeitgeber können bereits für nach dem 31.12.2006 beginnende Lohnzahlungszeiträume die Fahrtkostenzuschüsse und geldwerten Vorteile aus Sachleistungen für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte ab dem ersten Entfernungskilometer pauschal besteuern. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2007 bereits übermittelt oder erteilt hat. Macht der Arbeitgeber von der Pauschalierungsmöglichkeit Gebrauch, so darf er die bereits übermittelte oder erteilte Lohnsteuerbescheinigung aber nicht ändern. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer vielmehr formlos zu bescheinigen, dass er einen individuell besteuerten und bescheinigten Arbeitslohn nunmehr pauschal besteuert hat. Der Arbeitnehmer kann dann mit dieser Bescheinigung über die rückwirkend durchgeführte Pauschalbesteuerung im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung 2007 eine entsprechende Korrektur des Arbeitslohns geltend machen. Belässt es der Arbeitgeber bei der Lohnbesteuerung für die ersten 20 Kilometer, kann der Arbeitnehmer insoweit die Entfernungspauschale bei den Werbungskosten abziehen.
Sofern volljährige Kinder durch den Ansatz der Entfernungspauscha-le ab dem ersten Kilometer unter die schädliche Einkommensgrenze von 7.680 EUR rutschen, kann rückwirkend für diese Kinder wieder Kindergeld gezahlt werden. Die Familienkassen korrigieren die vorläufigen Kindergeldfestsetzungen von Amts wegen.
Veranlagungszeiträume 2008 und 2009
Die Auswirkungen ergeben sich über die anstehende Steuererklärung 2008. Hier wirkt sich die Entfernungspauschale wieder für den vollen Weg zur Arbeit aus, sofern Arbeitnehmer zusammen mit den übrigen Werbungskosten über der Arbeitnehmer-Pauschale von 920 EUR liegen.
Sofern es zum Eintrag der ungekürzten Entfernungspauschale als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte 2008 gekommen ist, droht über den folgenden Steuerbescheid keine Nachzahlung.
Selbstständige sollten ihre Gewinnermittlung für 2008 bei den anstehenden Jahresabschlussarbeiten anpassen. Gleiches gilt für die Werbungskosten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung.
Auch für den Lohnzahlungszeitraum 2008 kann der Arbeitgeber eine Pauschalierung bereits ab dem ersten Entfernungskilometer vornehmen. Sofern schon eine Lohnsteuerbescheinigung für 2008 ausgestellt und übermittelt wurde, darf er diese aber nicht ändern. Der Arbeitnehmer kann dann mit einer formlosen Bescheinigung über die rückwirkend durchgeführte Pauschalbesteuerung im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung 2008 seinen Arbeitslohn korrigieren lassen. Belässt es der Betrieb bei der bisherigen Besteuerung der Fahrtkostenzuschüsse, kann der Arbeitnehmer insoweit die Entfernungspauschale bei den Werbungskosten abziehen.
Für 2009 sollte der Eintrag der ungekürzten Entfernungspauschale als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte oder eine Anpassung der Vorauszahlungen beantragt werden, sofern dies nicht bereits geschehen ist. Im Rahmen des Lohnsteuer-Ermäßigungsantrags müssen die jährlichen Aufwendungen bei den Werbungskosten mehr als 1.520 EUR betragen, wobei der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 920 EUR bereits in der Lohnsteuertabelle berücksichtigt ist. Ohne weitere Werbungskosten muss die Entfernung daher mindestens 23 km betragen.
Die Pauschalbesteuerung für Fahrtkostenzuschüsse und geldwerte Vorteile kann der Arbeitnehmer für den Lohnzeitraum 2009 wieder für die gesamte Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vornehmen.
Ausblick
Nach einer Pressemitteilung des BMF vom 9.12.2008 kann rückwirkend ab dem 1.1.2007 die Entfernungspauschale wieder entsprechend dem bis zum 31.12.2006 geltenden Recht geltend gemacht werden. Ob damit auch gemeint ist, dass wieder die über der Entfernungspauschale liegenden tatsächlichen Aufwendungen für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln abziehbar sind, ergibt sich aus dem Urteil des BVerfG nicht. Ein BMF-Schreiben bleibt abzuwarten.
Mit der Entfernungspauschale waren ab 2007 Unfälle abgegolten, die auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstehen. Diese Abgeltungswirkung galt gesetzlich bereits seit 2001, die Verwaltung hatte die Unfallkosten bis Ende 2006 lediglich auf dem Erlassweg zum Abzug zugelassen. Die Rücknahme dieser Vergünstigung war unbedenklich und führt durch das BVerfG-Urteil zu keiner Änderung.