§ 3 Nr. 72 Satz 2 EStG enthält ein Gewinnermittlungsverbot und keine bloße Befreiung von der Pflicht zur Gewinnermittlung. Damit dürfen nach Einführung der Steuerbefreiung ab dem Veranlagungszeitraum 2022 keine Betriebsausgaben mehr abgezogen werden, selbst wenn diese auf steuerpflichtige Einnahmen früherer Veranlagungszeiträume entfallen, so das Urteil des FG Nürnberg.
Sachverhalt
Streitig war, ob § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG nur eine Befreiung von der Gewinnermittlungspflicht oder ein Gewinnermittlungsverbot beinhaltet, das den Abzug von Umsatzsteuerzahlungen für das Jahr 2021 im Jahr 2022 erfasst.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG Nürnberg liegt ein Gewinnermittlungsverbot vor. Ein Gewinnermittlungsverbot und damit auch ein Betriebsausgabenabzugsverbot ergibt sich aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG. Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei:
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Die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb (Buchst. a) von auf, an oder in Einfamilienhäusern (einschließlich Nebengebäuden) oder nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 30 kW (peak) und
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(Buchst. b) von auf, an oder in sonstigen Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 15 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit, insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft.
Im Streitfall erzielte der Steuerpflichtige derartige Einkünfte im Streitjahr 2022.
Werden Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist gem. § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln. Denn § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG ist dahingehend auszulegen, dass er ein Gewinnermittlungsverbot und nicht nur eine Befreiung von einer Gewinnermittlungspflicht beinhaltet.
Die Gesetzesbegründung spricht zwar davon, bei Einkünften aus einer steuerbefreiten Photovoltaikanlage „braucht hierfür kein Gewinn mehr ermittelt und damit auch z. B. keine Anlage EÜR mehr abgegeben zu werden.“ Die Formulierung kann jedoch auch dahingehend verstanden werden, dass sie nur die Folge des Gewinnermittlungsverbots, nämlich den Wegfall der Verpflichtung zur Ermittlung des Gewinns und Abgabe der Erklärung EÜR beschreibt. Außerdem ist für die Auslegung durch das Gericht in erster Linie nicht der Wille des historischen Gesetzgebers, sondern der Wortlaut des Gesetzestextes maßgeblich. Dieser spricht eindeutig davon, dass bei Vorliegen steuerbefreiter Einnahmen kein Gewinn zu ermitteln „ist“. Die Formulierung ist als verbindlich und nicht als bloße Wahlmöglichkeit für den Steuerpflichtigen zu verstehen.
Auch die Gesetzessystematik spricht für ein ab dem 1.1.2022 geltendes Gewinnermittlungsverbot. Der Gesetzgeber hat gerade nicht auf den Mechanismus des § 3c Abs. 1 EStG vertraut, der zahlreiche Ausnahmen für – wie vorliegend – Umsatzsteuernachzahlungen, Jahresabschlusskosten, Steuerberatungskosten etc. zulassen würde. Stattdessen hat er sich zu einem klaren Schnitt entschieden und diesen mit den zulässigen Zielsetzungen der Förderung erneuerbarer Energien und des Abbaus bürokratischer Hemmnisse begründet. Dieser Systematik würde es zuwiderlaufen, nachlaufende Betriebsausgaben vom Abzugsverbot auszunehmen und im Einzelfall einen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einkünften vor oder nach dem Jahreswechsel 2021/2022 prüfen zu müssen. Die im Streitfall in Rede stehende Umsatzsteuernachzahlung 2021 unterfällt daher dem Gewinnermittlungsverbot.
Relevanz für die Praxis
Die rückwirkende Einführung des Gewinnermittlungsverbots zum 1.1.2022 durch das JStG 2022 wird zwar in der Literatur verfassungsrechtlich hinterfragt. Auch die kritischen Stimmen kommen allerdings für den Veranlagungszeitraum 2022 zu einer unechten Rückwirkung, da die Einkommensteuer 2022 gem. § 36 EStG erst mit Ablauf des 31.12.2022 entstanden ist. Eine unechte Rückwirkung ist jedoch verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig. Das dem Gesetzgeber zustehende Ermessen umfasst auch die sofortige Einführung um den Preis, dass nachlaufende Betriebsausgaben im Jahr 2022 nicht mehr berücksichtigt werden können. Denn für die ganz überwiegende Mehrzahl der von der Regelung erfassten
Steuerpflichtigen war die Steuerbefreiung eine Begünstigung.
Beachten Sie | Anders als das FG Nürnberg hat das FG Münster einen vergleichbaren Sachverhalt entschieden (FG Münster, Beschluss vom 21.10.24, I V 1757/24)
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