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Wird der Auftrag, Klage zu erheben, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nicht bearbeitet und deshalb die Klagefrist versäumt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

Was ist passiert?

Die Steuerpflichtige ist eine Kapitalgesellschaft in der Form einer GmbH. Den Einspruch der Steuerpflichtigen gegen die Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016 wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 18.12.2023 als unbegründet zurück. Die Steuerpflichtige erhob am 26.1.2024 Klage beim FG und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist.

Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte die Steuerpflichtige aus, die Einspruchsentscheidung vom 18.12.2023 sei in der Sozietät ihres Prozessbevollmächtigten am 21.12.2023 eingegangen. Am Folgetag, dem 22.12.2023, sei die Einspruchsentscheidung auf Anweisung ihres Prozessbevollmächtigten von einer Mitarbeiterin in dessen Büro als Mail-Anhang an sie, die Steuerpflichtige, gesandt worden. Der Prozessbevollmächtigte habe zudem ergänzend ein Informationsschreiben diktiert. Das Schreiben sei am Tag des Diktats am 22.12.2023 nicht mehr geschrieben worden, sondern erst nach den sich anschließenden Feiertagen am 27.12.2023. In dem an sie, die Steuerpflichtige, gerichteten Schreiben hieß es u. a.: „Die Klagefrist läuft damit am 22.1.2024 ab […]. Da unser Mandat mit der Einspruchsentscheidung abgeschlossen ist, werden wir ohne besondere Anweisung keine Klage gegen die Bescheide erheben. Wenn Sie die Erhebung der Klage wünschen, geben Sie uns dazu bitte eine entsprechende Nachricht.“

Die Steuerpflichtige erteilte jedoch bereits am Tag des Eingangs der Einspruchsentscheidung per E-Mail an die E-Mail-Adresse, von der sie die Einspruchsentscheidung übersandt erhalten hatte, ihrem Prozessbevollmächtigten mit den Worten „Moin, bitte Klage einreichen“ die Anweisung, Klage zu erheben. Diese E-Mail ging am Freitag, dem 22.12.2023, 14:14 Uhr, also nach Büroschluss, in der Kanzlei ein.

Nach den Feiertagen wurde die Nachricht im Büro des Prozessbevollmächtigten nicht wahrgenommen. Zwischen den Feiertagen blieb der Arbeitsplatz der zuständigen Mitarbeiterin aufgrund ihres Urlaubs unbesetzt. Die E-Mail mit der Anweisung zur Klageerhebung erreichte aus nicht mehr aufklärbaren Gründen den zuständigen Sachbearbeiter in der Kanzlei nicht.

Die Steuerpflichtige beantragte daraufhin, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Klagefrist zu gewähren und im Rahmen eines Zwischenurteils zu entscheiden, dass die Klage zulässig ist.

Wie sieht es das Finanzgericht?

Nach Auffassung des FG lagen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor. Nach dem Vortrag der Steuerpflichtigen fehlte es bereits an einem Wiedereinsetzungsgrund. Die Steuerpflichtige hätte die Rechtsbehelfsfrist einhalten können. Sie müsse sich einerseits ein Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen und andererseits sei auch ein eigenes Verschulden ihrerseits nicht auszuschließen.

Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten

Der Prozessbevollmächtigte der Steuerpflichtigen hatte insbesondere nicht hinreichend dargetan, welche Organisationsmaßnahmen in seinem Büro von ihm getroffen worden sind, damit Fristen zuverlässig überwacht sowie eingehalten und Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristensachen sowie Fristversäumnisse möglichst ausgeschlossen werden.

In den Fällen, in denen Kanzleimitarbeitern eine personalisierte E-Mail-Adresse zur Verfügung gestellt wird, die (auch) für eine Kommunikation mit Mandanten genutzt wird, entspricht es vernünftigen Erwägungen, Regelungen zur Nutzung dieser E-Mail-Adressen durch die Mitarbeiter und zur Bearbeitung und Weiterleitung von E-Mails von Mandaten zu treffen:

  • Im Streitfall hätte es für die Darlegung der Büroorganisation daher insbesondere Erläuterungen durch den Prozessbevollmächtigten bedurft, wie die kanzleiinternen Abläufe im Zusammenhang mit von Mandanten direkt an die personalisierten E-Mail-Adressen der Mitarbeiter übersandten E-Mails organisiert sind und wie in diesem Zusammenhang sichergestellt wird, dass z. B. Anfragen zu konkreten Verfahren oder auch Aufträge, eine Klage zu erheben, den zuständigen Anwalt als Sachbearbeiter zeitnah erreichen.

  • Ferner hätten die Regelungen zur Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung dargelegt werden müssen. Dies betrifft insbesondere Regelungen zum Umgang mit solchen E-Mails von Mandanten, die sich während Urlaub oder Krankheit eines Mitarbeiters unbearbeitet in seinem personalisierten E-Mail-Postfach befinden oder dort in dieser Zeit eingehen.

Der Prozessbevollmächtigte hatte in diesem Zusammenhang lediglich vorgetragen, die Klagefrist sei im Fristenkalender eingetragen und bei Fristablauf mangels Klageauftrag als erledigt ausgetragen worden. Dies lässt aber keine Schlüsse auf die konkrete Büroorganisation und insbesondere auf die Behandlung der elektronischen Kommunikation mit den Mandanten durch E-Mails zu. Ein zumindest mitwirkendes Organisationsverschulden konnte das FG nicht ausschließen.

Außerdem war der behauptete Geschehensablauf nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Eigenes Verschulden der Steuerpflichtigen

Darüber hinaus war auch ein der Steuerpflichtigen zuzurechnendes Verschulden ihrer Geschäftsführerin nicht ausgeschlossen. Die Geschäftsführerin hatte es als gesetzliche Vertreterin leicht fahrlässig versäumt, zu überprüfen, ob ihr Prozessbevollmächtigter ihre Anweisung, Klage einzureichen, erhalten und verstanden hat. Es gehörte zu ihrer Pflicht, die Geschäfte der Gesellschaft zu führen und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

Die Steuerpflichtige hatte lediglich per einfacher E-Mail mitgeteilt: „Moin, bitte Klage einreichen“. Sie konnte aber nicht ohne Weiteres damit rechnen, dass der – aus ihrer Sicht erteilte – Auftrag zur Klageerhebung ihren Prozessbevollmächtigten tatsächlich erreicht hat, da sie zeitlich nach der E-Mail das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten erhielt, in dem es u. a. hieß: „Da unser Mandat mit der Einspruchsentscheidung abgeschlossen ist, werden wir ohne besondere Anweisung keine Klage gegen die Bescheide erheben. Wenn Sie die Erhebung der Klage wünschen, geben Sie uns bitte eine entsprechende Nachricht.“

Aufgrund dieses Schreibens hätte es einer weiteren Nachfrage bei dem Prozessbevollmächtigten bedurft, ob er für sie Klage erhebt. Dies ist ihr anzulasten.

Fazit | Das Gericht wirft dem Steuerbüro Organisationsverschulden vor. Dieser Vorwurf ließe sich wohl entkräften, wenn – wie das Gericht selbst ausführt – nachweislich „Regelungen zur Nutzung dieser E-Mail-Adressen durch die Mitarbeiter und zur Bearbeitung und Weiterleitung von E-Mails von Mandanten“ getroffen worden wären. Derartige Maßnahmen zur Selbstorganisation kommen in vielen – insbesondere kleineren – Steuerbüros einfach zu kurz! Aber auch die Geschäftsführerin der Steuerpflichtigen trifft zumindest eine Mitschuld. Wer eine steuerjuristische Verfahrenshandlung mit „Moin, bitte Klage einreichen“ vornimmt, dem fehlt irgendwo der erkennbare Ernst. Insbesondere dann, wenn im Nachhinein der Hinweis auf die Beendigung des Mandats eingeht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte sie nachhaken müssen!

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