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Eine Abzweigung des Kindergelds an das Kind hat auch dann analog § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG zu erfolgen, wenn der Kindergeldberechtigte keinen Unterhalt leistet, weil er dazu mangels Bedürftigkeit des Kindes zivilrechtlich nicht verpflichtet ist.

Hintergrund

Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG kann gemäß § 74 Abs. 1 EStG an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.

Kindergeld kann an Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergelds berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrags, der sich bei entsprechender Anwendung des § 76 EStG ergibt, ausgezahlt werden. Dies gilt auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Abzweigung des Kindergelds an den Sohn der Steuerpflichtigen. Sie erhielt für ihre drei Kinder, unter anderem den oben genannten Sohn, fortlaufend Kindergeld. Mit Antrag aus Februar 2021 beantragte dieser Sohn die Auszahlung des Kindergelds an sich selbst. Dem Antrag wurde entsprochen und das Kindergeld an ihn ausbezahlt.

Hiergegen richtete sich der Einspruch der Mutter. Zur Begründung trug sie unter anderem vor, der Sohn erhalte im Rahmen seines dualen Studiums eine Bruttovergütung über 1.000 EUR monatlich sowie ein monatliches steuerfreies Stipendium. Des Weiteren verfüge er unter anderem über ein zweckgebundenes Vermögen, das ihm für Ausbildungszwecke zur Verfügung gestellt worden sei. Im Streitfall liegen keine Unterhaltsleistungen der Eltern vor, es bestand jedoch auch keine Unterhaltspflicht der Eltern. Den Einspruch wies die Familienkasse als unbegründet zurück.

Entscheidung

Das FG München wies die Klage der Mutter ab. Eine Abzweigung gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG schied gemäß des FG im Streitfall nach dem Wortlaut des Gesetzes aus, weil diese Regelung nur dann eingreift, wenn eine Unterhaltspflicht deshalb nicht besteht, weil der an sich Unterhaltsverpflichtete nicht leistungsfähig ist. Nach Auffassung des FG erfolgte eine Abzweigung an das Kind zu Recht in analoger Anwendung des § 74 EStG.

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann Kindergeld in angemessener Höhe u. a. an Kinder des Kindergeldberechtigten ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihnen gegenüber seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht nachkommt. Dieser Tatbestand setzt das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus.

Der in § 74 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 EStG geregelte Sachverhalt, dass das Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden kann, wenn die Eltern tatsächlich keinen Unterhalt zahlen und dies zu keiner Unterhaltspflichtverletzung führt, weil sie nicht leistungsfähig (§ 1603 BGB) sind, ist dem Sachverhalt, dass die Eltern deshalb ihre Unterhaltspflicht nicht verletzen, weil sie bereits dem Grunde nach nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet sind, so ähnlich, dass eine analoge Gesetzesanwendung gerechtfertigt ist.

Eine Abzweigung des Kindergelds an das Kind erfolgt nach Auffassung des FG auch dann zu Recht analog § 74 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 EStG, wenn der Kindergeldberechtigte keinen Unterhalt leistet, weil er dazu mangels Bedürftigkeit des Kindes zivilrechtlich nicht verpflichtet ist. Denn insoweit liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Es gibt keinen sachlich einleuchtenden Grund dafür, das Kindergeld dann an das Kind selbst auszuzahlen, wenn eine Verletzung der Unterhaltspflicht nur wegen fehlender Leistungsfähigkeit der Eltern (§ 1603 BGB) verneint wird, einen derartigen Anspruch des Kindes aber zu verneinen, wenn die – leistungsfähigen – Eltern bereits dem Grunde nach nicht unterhaltspflichtig, aber gleichwohl kindergeldberechtigt sind.

Wenn das Kindergeld nach dem Wortlaut und Zweck des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht zum eigenen Lebensunterhalt von nicht leistungsfähigen Eltern verwendet werden soll, dann ist kein Grund ersichtlich, dies anders zu beurteilen, wenn die Eltern sogar leistungsfähig sind.

Der in § 74 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 EStG geregelte Sachverhalt, dass das Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden kann, wenn die Eltern tatsächlich keinen Unterhalt zahlen und dies zu keiner Unterhaltspflichtverletzung führt, weil sie nicht leistungsfähig (§ 1603 BGB) sind, ist dem Sachverhalt, dass die Eltern deshalb ihre Unterhaltspflicht nicht verletzen, weil sie bereits dem Grunde nach nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet sind, so ähnlich, dass nach Auffassung des FG eine analoge Gesetzesanwendung gerechtfertigt ist.

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