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Ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahin gehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer – im Einspruchsschreiben nicht benannter – Steuerbescheid angefochten werden soll.

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige reichte beim FA eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Zeitraum Oktober 2009 ein, in der er den Vorsteuerabzug aus zwei Rechnungen über den Erwerb einer Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) und infolgedessen einen Erstattungsanspruch geltend machte.

Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau setzte das FA im Juli 2010 die USt-Vorauszahlung für Oktober 2009, soweit sie auf die steuerpflichtigen Umsätze aus der Verpachtung der PV-Anlage entfiel, fest und versagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen über den Erwerb der PV-Anlage. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Der Steuerpflichtige beantragte im November 2010 – vertreten durch eine Steuerberaterin – den Abzug der Vorsteuern aus dem Erwerb der PV-Anlage gemäß der eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Oktober 2009. Diesen Änderungsantrag lehnte das FA ab. Abweichend von der vom Steuerpflichtigen eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für 2009 setzte das FA im Dezember 2010 die Umsatzsteuer für 2009 mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid fest.

Gegen die Ablehnung des Änderungsantrags betreffend die Festsetzung der USt-Vorauszahlung für Oktober 2009 legte der Steuerpflichtige – wieder vertreten durch seine Steuerberaterin – im Januar 2011 Einspruch ein. Der Betreff des Einspruchsschreibens beinhaltete die Steuernummer des Steuerpflichtigen mit einem persönlichen Zusatz, Name und Anschrift des Steuerpflichtigen sowie den Text „Antrag auf Änderung der Festsetzung der USt-Vorauszahlung für den Monat 10-2009“. Im Einspruchsschreiben führte die Steuerberaterin aus, „Gegen den o. a. Bescheid lege ich hiermit Einspruch ein. Der Einspruch richtet sich gegen die Nichtanerkennung der Rechnungen für den Vorsteuerabzug.“ Den persönlichen Zusatz zu der Steuernummer enthielt ausschließlich der Ablehnungsbescheid, nicht aber der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009.

Das FA wies mit Einspruchsentscheidung den Einspruch „gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Umsatzsteuer Oktober 2009 in Gestalt des Umsatzsteuerbescheides 2009“ als unbegründet zurück. Als Anlage zur Einspruchsentscheidung übersandte das FA eine geänderte Umsatzsteuerfestsetzung für 2009.

Das FG wies die Klage des Steuerpflichtigen wegen Umsatzsteuer 2009 als unbegründet ab.

Entscheidung

Die Revision war insoweit begründet, als das FG durch sein die Klage insgesamt abweisendes Urteil die Einspruchsentscheidung nicht aufgehoben hatte, soweit diese die Umsatzsteuerjahresfestsetzung 2009 betrafen. Denn der Steuerpflichtige hatte den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 nicht mit einem Einspruch angefochten, sodass die Einspruchsentscheidung insoweit nicht ergehen durfte. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Rechtsbehelfsentscheidung aufzuheben, wenn der Steuerpflichtige keinen Rechtsbehelf eingelegt hat. Der Steuerpflichtige hat nämlich ausschließlich einen Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung eines Vorauszahlungsbescheids für Oktober 2009 eingelegt, der auch im Wege der Auslegung nicht als Einspruch gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 22.12.2010 angesehen werden konnte.

Grundsatz der Auslegung von Rechtsbehelfen

Außerprozessuale Rechtsbehelfe sind mit dem Ziel auszulegen, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen.

Die Auslegung darf jedoch nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen. Eine derartige Korrektur der Erklärung kann auch mit dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung nicht gerechtfertigt werden.

Die Auslegung des Einspruchs ist Gegenstand der vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist, soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden. Diese Bindungswirkung fehlt, wenn der Einspruch nicht auslegungsbedürftig ist. Die Auslegungsbedürftigkeit ist revisionsrechtlich in vollem Umfang überprüfbar.

Strenge Anforderungen an Erklärungen von Fachkundigen

Ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahin gehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer – im Einspruchsschreiben nicht benannter – Steuerbescheid angefochten werden soll.

Der Einspruch bezieht sich im Streitfall nicht auf den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009. Er ist dahin gehend weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Der von einer Steuerberaterin verfasste Einspruch benennt ausdrücklich nur den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Festsetzung der USt-Vorauszahlung für den Monat Oktober 2009 (Ablehnungsbescheid) als Einspruchsgegenstand. Anhaltspunkte dafür, dass zusätzlich zu dem ausdrücklich benannten Ablehnungsbescheid auch noch der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 angefochten werden sollte, sind dem Einspruchsschreiben nicht zu entnehmen.

Nach dem Wortlaut des Einspruchsschreibens sollte allein „gegen den o. a. Bescheid“ Einspruch eingelegt werden. Im Betreff des Einspruchsschreibens ist dieser „o. a. Bescheid“ ausschließlich mit der Bescheidüberschrift des Ablehnungsbescheids „Antrag auf Änderung der Festsetzung der USt-Vorauszahlung für den Monat 10-2009“ bezeichnet. Darüber hinaus enthält der Betreff die Steuernummer des Steuerpflichtigen einschließlich des Zusatzes „…“, der ausschließlich im Ablehnungsbescheid, jedoch nicht im Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 erwähnt wird.

Auch keine Ersetzung nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO

Der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 ist auch nicht zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung der Umsatzsteuer für Oktober 2009 geworden.

§ 365 Abs. 3 Satz 1 AO betrifft nach seinem Wortlaut („Wird der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt …“) lediglich Änderungen oder Ersetzungen eines angefochtenen Verwaltungsakts während des Einspruchsverfahrens. Die Regelung ist insbesondere bereits dann nicht anwendbar, wenn

  • ein (später) angefochtener Verwaltungsakt

  • vor der Einlegung des Einspruchs geändert wird.

Vorliegend ist § 365 Abs. 3 Satz 1 AO daher nicht anwendbar, weil

  • der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 als im Dezember 2010 bekannt gegeben gilt,

  • während der Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid im Januar 2011 beim FA eingegangen ist.

Da der Jahressteuerbescheid dem Einspruch somit vorausging, ist der Streitfall von der Fallkonstellation zu unterscheiden, bei der die Finanzbehörde zwar ebenso einen Antrag auf Änderung einer Voranmeldungsfestsetzung durch Ablehnungsbescheid zurückweist, hiergegen aber

  • zuerst Einspruch eingelegt wird und

  • erst dann ein Jahressteuerbescheid ergeht, der dann gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird.

Entspricht ein außerhalb eines anhängigen Einspruchsverfahrens ergangener Steuerbescheid nicht dem Begehren des Steuerpflichtigen, so muss dieser entweder rechtzeitig Einspruch einlegen oder einen Antrag auf Änderung stellen, wenn er sein Begehren weiterverfolgen will.

Praxistipp

Über die Revision wurde im Ergebnis deshalb materiell-rechtlich nicht entschieden, weil die Steuerberaterin unsauber formuliert hat. Auf den wirklichen Willen des Steuerpflichtigen abstellende Auslegung konnte den Fehler nicht bereinigen. Denn ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahin gehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer – im Einspruchsschreiben nicht benannter – Steuerbescheid angefochten werden soll. Trotz der in vielen Bereichen heute üblichen schnellen Kommunikation via iMessage, SMS und WhatsApp sollte man bei gerichtlichen/behördlichen Eingaben „old fashioned“ arbeiten. Soll heißen: in Ruhe formulieren und gegenlesen lassen („Vier-Augen-Prinzip“)!

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