Wer seinen Urlaub in Corona-Quarantäne verbringen musste, hat nach einer aktuellen EuGH-Entscheidung keinen Anspruch darauf, den Urlaub nachholen zu dürfen. Das Unionsrecht verlangt nicht, dass ein Arbeitnehmer, der während seines bezahlten Jahresurlaubs unter Quarantäne gestellt worden ist, den Jahresurlaub auf einen späteren Zeitraum übertragen kann.
Quarantäne als Teil der Corona-Schutzmaßnahmen im IfSG
Während der Corona-Pandemie bestand auf der Grundlage §§ 28, 28b Infektionsschutzgesetz (IfSG) im Rahmen der Schutzmaßnahmen gegen eine weitere Verbreitung des COVID-19-Virus eine Quarantänepflicht u. a. auch für Kontaktpersonen von Infizierten. Seit 1.12.2020 konnte eine infolge eines Kontakts mit einer infizierten Kontaktperson behördlich angeordnete 14-tägige Quarantäne nach zehn Tagen durch ein negatives COVID-19-Testergebnis beendet werden. Später haben einzelne Länder die Quarantänedauer für Kontaktpersonen auf fünf Tage verkürzt, wenn diese innerhalb von 48 Stunden symptomfrei waren. Der zeitlich befristete rechtliche Schutzrahmen der Corona-Beschränkungen in § 28 b IfSG ist am 7.4.2023 abgelaufen, seitdem gibt es keine Grundlage mehr für behördliche Quarantäneanordnungen.
Wer sich als Infizierter in Quarantäne begeben musste, also krank war, hatte den üblichen, auf sechs Wochen beschränkten Entgeltfortzahlungsanspruch (§ 4 EFZG), wenn die Krankheit durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen war. In diesem Fall behielt der Arbeitnehmer auch seinen Urlaubsanspruch, und zwar auch dann, wenn er während des Urlaubs arbeitsunfähig an Corona erkrankte.
Uneinheitliche Rechtsprechung
Ob ein bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nachzugewähren ist, wenn beim Arbeitnehmer selbst keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht, ist in der Rechtsprechung bislang umstritten.
Ein Teil der Rechtsprechung (LAG Düsseldorf 15.10.21, 7 Sa 857/21; LAG Köln 13.12.21, 2 Sa 488/21; LAG Schleswig-Holstein 15.2.22, 1 Sa 208/21; LAG Baden-Württemberg 16.2.22, 10 Sa 62/21 ) hat eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG bei einer Quarantäne während eines bewilligten Urlaubs im Falle fehlender Arbeitsunfähigkeit abgelehnt. Zu dieser Ansicht neigt auch das BAG (9 AZR 76/22 [A]) in einem noch anhängigen Revisionsverfahren. Demgegenüber hat das LAG Hamm (27.1.22, 5 Sa 1030/21) entschieden, dass in einer solchen Fallgestaltung die gewährten Urlaubstage in analoger Anwendung des § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen, sondern nachzugewähren seien.
Sachverhalt im Streitfall
Ein Arbeitnehmer hatte mit seiner Arbeitgeberin, der Sparkasse Südpfalz, vereinbart, vom 3. bis 11.12.2020 bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Aufgrund eines Kontakts mit einer positiv auf COVID-19 getesteten Person stellte die zuständige deutsche Behörde den Arbeitnehmer im selben Zeitraum unter Quarantäne (§ 28 IfSG). Daraufhin beantragte er beim Arbeitgeber, diese Urlaubstage auf einen späteren Zeitraum übertragen zu dürfen (§ 7 Abs. 3 BUrlG), was dieser ablehnte.
Erläuterung |
§ 7 Abs. 3 BUrlG bestimmt: „Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. …“ |
Daraufhin wandte sich der Arbeitnehmer an das zuständige Arbeitsgericht und machte geltend, dass die Ablehnung gegen das Unionsrecht, nämlich Art. 7 EU-Arbeitszeitrichtlinie (EU RL 2003/88/EG, 4.11.2003) verstoße. Nach Ansicht des ArbG Ludwigshafen (14.2.22, 5 Ca 216/21) verpflichtet das nationale Recht den Arbeitgeber nur dann zur Übertragung der gewährten Urlaubstage, wenn der Arbeitnehmer eine „Arbeitsunfähigkeit“ nachweisen kann, die während des Urlaubszeitraums eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung sei aber die bloße Quarantäne nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen, was gegen Art. 7 Abs. 1 EU RL 2003/88/EG verstoßen könnte. Das Arbeitsgericht hat sich deshalb mit einem Vorabentscheidungsersuchen (Art. 267 AEUV) an den EuGH gewandt, um klären zu lassen, ob das Unionsrecht verlangt, dass Urlaubstage, die mit der Quarantäne zusammenfallen, übertragen werden können.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH (14.12.23, C-206/22) hat entschieden, dass das Unionsrecht nicht verlangt, dass die Tage bezahlten Jahresurlaubs, an denen der Arbeitnehmer nicht krank ist, sondern aufgrund eines Kontakts mit einer mit einem Virus infizierten Person unter Quarantäne gestellt ist, übertragen werden müssen. Der bezahlte Jahresurlaub bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Anders als eine Krankheit steht ein Quarantänezeitraum als solcher der Verwirklichung dieser Zwecke nicht entgegen. Folglich ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Nachteile auszugleichen, die sich aus einem unvorhersehbaren Ereignis wie einer Quarantäne ergeben, das seinen Arbeitnehmer daran hindern könnte, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub uneingeschränkt und wie gewünscht zu nutzen.
Praxistipp
Im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) entscheidet der EuGH nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des EuGH bindet aber in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.
Begründung der EuGH-Entscheidung
Der EuGH begründet seine Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren mit der unterschiedlichen Zielrichtung von bezahltem Jahresurlaub, Krankheitsabwesenheit und Quarantäne:
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Der Anspruch auf Jahresurlaub verfolgt einen doppelten Zweck, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH 25.6.20, C-762/18, C-37/19, EU:C:2020:504, Rn. 57).
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Der Zweck des Anspruchs auf „Krankheitsurlaub“, also der bezahlten Abwesenheit während einer Erkrankung (§ 4 EFZG) besteht darin, dem Arbeitnehmer die Genesung von einer Krankheit zu ermöglichen (EuGH 30.6.16, C-178/15, EU:C:2016:502, Rn. 25).
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Der Zweck einer Quarantänemaßnahme besteht demgegenüber darin, die Verbreitung einer ansteckenden Krankheit durch Isolierung von Personen, die deren Symptome entwickeln können, zu verhindern, unterscheidet sich also vom Zweck des bezahlten Jahresurlaubs. Daher kann ein Quarantänezeitraum als solcher der Verwirklichung des Zwecks des Jahresurlaubs, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen, nicht entgegenstehen (so bereits EuGH 6.11.18, C-569/16, C 570/16, EU:C:2018:871, Rn. 41).
Weiteres Vorabentscheidungsersuchen des BAG zum Urlaubsrecht beim EuGH anhängig
Auch das BAG (16.8.22, 9 AZR 76/22 [A]) hat dem EuGH (C 749/22) die Frage vorgelegt, ob ein bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nachzugewähren ist, wenn beim Arbeitnehmer keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht. Konkret will das BAG jetzt vom EuGH wissen, ob Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) und Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta dahingehend auszulegen sind, dass sie einer innerstaatlichen Regelung oder Praxis entgegenstehen, der zufolge ein vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter bezahlter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde wegen Ansteckungsverdachts angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nicht nachzugewähren ist.
Der Kläger hatte im BAG-Streitfall die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend § 9 BUrlG, demzufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren.
Nach Ansicht des BAG handelt es sich bei den geltenden Bestimmungen über die Nichtanrechnung von Urlaub um Ausnahmevorschriften, die sich nach deutschem Recht nicht ohne Weiteres auf andere urlaubsstörende Ereignisse, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, übertragen ließen. Die Regelung in § 9 BUrlG sei damit nicht unmittelbar auf in Quarantäne befindliche Ansteckungsverdächtige, die selbst nicht erkrankt seien, anzuwenden. Ein Arbeitgeber sei in einem solchen Fall nach Ansicht des BAG aber auch nicht in analoger Anwendung des § 9 BUrlG zur Nachgewährung des sich mit der Quarantäne überschneidenden Urlaubs verpflichtet.
Nach diesen Auslegungsgrundsätzen des nationalen Rechts durch das BAG hätte im Streitfall der Arbeitgeber den Anspruch des Klägers auf bezahlten Jahresurlaub durch bezahlte Freistellung erfüllt. Der Urlaub wäre im Umfang der Bewilligung ersatzlos erloschen, obwohl der Umstand der behördlich angeordneten Quarantäne für den Arbeitnehmer nicht vorhersehbar und von seinem Willen unabhängig während der Zeit der Freistellung eingetreten ist. Urlaubstage während der Quarantänezeit, in der Urlaubsvergütung bezogen wurde, blieben dann also nicht nach § 9 BUrlG erhalten.
Fazit | Auswirkungen der EuGH-Entscheidung auf die Praxis: Die Entscheidung des EuGH hat bezogen auf den Konflikt von Urlaubsgewährung und coronabedingter Quarantäne keine unmittelbare praktische Bedeutung mehr. Denn mit Wirkung ab dem 17.9.2022 regelt § 59 Abs. 1 IfSG, dass dann, wenn ein Beschäftigter während seines Urlaubs nach § 30, 32 IfSG, abgesondert wird oder er sich aufgrund einer nach § 36 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung abzusondern hat, die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Praktisch hat sich dieses konkrete Problem aber mit dem Auslauf des rechtlichen Rahmens für Corona-Schutzmaßnahmen (§ 28 b IfSG) am 7.4.2023 ohnehin erledigt, da es seitdem keine behördlichen Corona-Quarantäneanordnungen mehr gibt.
Beachten Sie | Die Nichtanrechnung von Absonderungs-/Quarantänetagen auf den Jahresurlaub war mit Wirkung ab 17.9.2022 durch das sog. COVID-19-SchutzG, BGBl I 22, 1454 eingeführt worden.
Für Arbeitgeber ist die Entscheidung des EuGH vom 14.12.2023, die nicht nur im Streitfall, sondern allen vergleichbaren Fällen zu berücksichtigen ist, aber dennoch ein wichtiges Signal: Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Nachteile auszugleichen, die sich aus einem unvorhersehbaren Ereignis wie einer durch eine Behörde angeordneten Quarantäne ergeben, das seinen Arbeitnehmer daran hindert, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub uneingeschränkt zu nutzen. Die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) bezweckt nämlich nicht, dass jedes Ereignis, das den Arbeitnehmer daran hindern könnte, uneingeschränkt und wie gewünscht Ruhe- oder Erholungszeit zu verbringen, für ihn einen Anspruch auf zusätzlichen Urlaub begründet, damit der Zweck des Jahresurlaubs gewährleistet ist.
Die EuGH-Entscheidung ist auch ein deutlicher Hinweis, ob und in welcher Art und Weise der Möglichkeit der Realisierung des Erholungszwecks während des Urlaubs Bedeutung für die Frage einer Urlaubs-Nachgewährung zukommt. Auch wenn die Entscheidung im EuGH-Verfahren C-749/22 noch aussteht, spricht viel für die Annahme, dass der EuGH einer zu extensiven analogen Anwendung von § 9 Abs. 1 BUrlG einen europarechtlichen Riegel vorschieben wird.
fundstellen
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EuGH-PM Nr. 189/23, 14.12.23, EuGH 14.12.23, C-206/22