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Eine dauernde Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist gegeben, wenn zum einen die Voraussetzungen des § 240 Abs. 2 SGB VI erfüllt sind und dieser Zustand zum anderen nicht nur in einem geringeren Ausmaß zeitlich befristet ist. Dieses bedarf einer Einzelfallprüfung.

Sachverhalt

Die Steuerpflichtige wurde 2012 mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Während der Ehemann nichtselbstständig tätig war, erzielte die Frau aus ihrem Friseurbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Dieser Betrieb bestand aus einer Hauptniederlassung und einer Zweigstelle. Bereits im Oktober 2008 hatte sich die Frau wegen Beschwerden im Bein behandeln lassen und war im Februar 2009 für mehrere Tage stationär aufgenommen worden. In einem Gutachten zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung stellte der Gutachter fest, dass die Steuerpflichtige bis auf Weiteres in ihrem bisherigen Beruf als Friseurmeisterin nur in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden tätig sein könne. Diese Leistungsminderung dauere voraussichtlich nicht weniger als drei Jahre an. Eine Besserung infolge einer hüftendoprothetischen Versorgung sei nicht unwahrscheinlich.

Die Deutsche Rentenversicherung Nord lehnte auf Antrag die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Allerdings bescheinigte das Versorgungsamt den Grad der Behinderung von 30 ab 2009. Der Grad der Behinderung beruhe nicht überwiegend auf Alterserscheinungen, sondern auf einer Behinderung.

Ende 2012 veräußerte die Steuerpflichtige die Hauptniederlassung und ermittelte einen Veräußerungsgewinn von 6.814 EUR. Sie meldete das Gewerbe unter Hinweis auf eine Betriebsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen ab. Die Zweigstelle führte die Steuerpflichtige dagegen zunächst fort, bis sie sie im Jahr 2014 unentgeltlich auf den Ehemann übertrug. Dieses Gewerbe meldete sie Mitte 2014 ab.

Im Jahr 2013 bewilligte die DRV Leistungen für eine Umschulung zur Sozialversicherungsfachangestellten. Diese Umschulung nahm die Klägerin nach einer hüftendoprothetischen Versorgung in 2013 auf.

Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 beantragte die Steuerpflichtige den Abzug des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG, den sie bislang noch nicht in Anspruch genommen hatte. Dies lehnte das FA ab, da es aus seiner Sicht am Nachweis der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit fehle. Der Einspruch blieb erfolglos, wobei das FA u. a. auch darauf abstellte, dass die Ehefrau bis ins Jahr 2014 ihre Tätigkeit als Friseurin nicht aufgegeben habe.

Der dagegen eingereichten Klage gab das FG statt. Nach Auffassung des Gerichts ist die Steuerpflichtige als dauernd berufsunfähig anzusehen. Unabhängig von einem entsprechenden Bescheid stehe fest, dass sie ihre Erwerbstätigkeit nur noch weniger als sechs Stunden täglich habe ausüben können. Das Gesetz sehe keine formalisierten Nachweisanforderungen vor, sodass das FG im Wege der freien Beweiswürdigung über das Vorliegen der dauernden Berufsunfähigkeit befinden dürfe. Das FA rügte in einem Revisionsverfahren die Verletzung materiellen Rechts. Zur Prüfung der dauernden Berufsunfähigkeit sei ein formalisiertes Nachweisverfahren durchzuführen.

Hintergrund

Gemäß § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG wird der sich bei einer Betriebsveräußerung ergebende Gewinn auf Antrag nur zur Einkommensteuer herangezogen, soweit er 45.000 EUR übersteigt, sofern der Steuerpflichtige u. a. im sozial­versicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Das hieße im Streitfall, dass die Steuerpflichtige einen Freibetrag, der sich im Streitfall auf 6.814 EUR belaufen würde, in Anspruch nehmen könnte, wenn sie im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist.

Nachweis der Berufsunfähigkeit

Berufsunfähig nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGB VI).

§ 16 Abs. 4 Satz 1 EStG verweist zwar auf das Sozialversicherungsrecht, eine Tätigkeit in einem Verweisungsberuf i. S. v. § 240 Abs. 2 SGB VI kann im Rahmen des § 16 Abs. 4 EStG aber nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in dem veräußerten bzw. aufgegebenen Betrieb ohne größere Schwierigkeiten ausgeübt werden könnte. Dem SGB VI fehlt zudem eine Aussage, wann die Berufsunfähigkeit dauernd ist, da § 240 Abs. 2 SGB VI zur Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit schweigt. Aufgrund des Zusammenspiels mit § 101 Abs. 1 SGB VI ist allerdings davon auszugehen, dass die verminderte Erwerbsfähigkeit mehr als sechs Monate andauern muss. Denn § 101 Abs. 1 SGB VI lässt die Leistung einer befristeten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Einschränkung des Eintritts der beruflichen Leistungsfähigkeit zu.

Anders als § 240 Abs. 2 SGB VI stellt die Begünstigung der Betriebsveräußerung nach § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG ausdrücklich auf die Dauerhaftigkeit einer Berufsunfähigkeit ab. Beachtet man weiter, dass der Freibetrag regelmäßig im Zusammenhang mit der Beendigung einer gewerblichen Betätigung zum Tragen kommt, wird mehr als nur eine zeitlich befristete Erwerbsminderung von wenigen Monaten zu verlangen sein. Entscheidend ist, dass erst eine dauernde Berufsunfähigkeit zur Gewährung des Freibetrags führen darf.

Die dauernde Berufsunfähigkeit muss zum Zeitpunkt der Teilbetriebsveräußerung bereits gegeben sein. Der Steuerpflichtige, der die Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG begehrt, trägt die Feststellungslast für die Erfüllung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen einschließlich des Erfordernisses, „im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig“ zu sein.

Der Nachweis einer Berufsunfähigkeit kann durch Bescheide der Sozialversicherungsträger oder auch durch amtsärztliche Bescheinigungen geführt werden. Darüber hinaus sind jedoch weitere Nachweise, insbesondere in Form von fachärztlichen Bescheinigungen, möglich. Denn ein formalisiertes Nachweisverlangen kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. Dieses ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG.

Entscheidung

Da das FG im Streitfall seine Auffassung, die Steuerpflichtige sei bereits zum Zeitpunkt der Teilbetriebsveräußerung dauerhaft berufsunfähig im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gewesen, nicht auf ausreichende tatsächliche Feststellungen gestützt hatte, hob der BFH die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies den Streitfall zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das FG zurück.

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