Stoßen Sachbearbeiter oder Betriebsprüfer des Finanzamts bei Überprüfung einer Kapitalgesellschaft auf eine inkongruente Gewinnausschüttung, das heißt auf eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnausschüttung, sind sie besonders kritisch und streng. Insbesondere, wenn die Satzung der Kapitalgesellschaft keine Aussagen zur inkongruenten Gewinnausschüttung trifft, rechnet das Finanzamt die Gewinnausschüttung den Gesellschaftern in aller Regel nach ihrem prozentualen Beteiligungsverhältnis zu. Doch ein aktuelles Urteil des BFH lässt unter bestimmten Voraussetzungen auch in solchen Fällen eine inkongruente Gewinnausschüttung steuerwirksam zu.
Grundsätze zur inkongruenten Gewinnausschüttung
Inkongruente Gewinnausschüttungen werden steuerlich durch die Rechtsprechung des BFH grundsätzlich anerkannt (u. a. BFH 19.8.99, I R 77/96; 13.3.18, IX R 35/16; 28.9.21, VIII R 25/19). Auch die Finanzverwaltung folgt weitgehend der BFH-Rechtsprechung (BMF 17.12.13, IV C 2 – S 2750-a/11/10001). Das BMF setzt für die steuerlich wirksame inkongruente Gewinnausschüttung aber voraus, dass die Gewinnausschüttung zivilrechtlich wirksam bestimmt ist.
Praxistipp
Bisher war allerdings noch nicht geklärt, ob eine inkongruente Gewinnausschüttung auch ohne entsprechende Satzungsregelung oder Öffnungsklausel steuerlich anzuerkennen ist. Mit dieser Frage musste sich nun der BFH beschäftigen. Gleich vorab: Die Entscheidung fiel steuerzahlerfreundlich aus – zumindest dann, wenn die inkongruente Gewinnausschüttung in einem „punktuell“ satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschluss beschlossen wurde (BFH 28.9.22, VIII R 20/20).
Darum ging es in dem aktuellen Urteilsfall
In dem aktuellen Urteilsfall war A von 2012 bis 2015 Gesellschafter-Geschäftsführer der K-GmbH (50 %-Beteiligung). An der K-GmbH war zudem zu 50 % die T-GmbH beteiligt, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer wiederum der A war.
In den Jahren 2012 bis 2015 wurde in der Gesellschafterversammlung der K-GmbH jeweils einstimmig eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung beschlossen. Die Gewinnausschüttung wurde zu 100 % der T-GmbH ausgezahlt.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass der Gesellschaftervertrag der K-GmbH keine Regelung zur Gewinnverteilung enthielt. Außerdem enthielt der Gesellschaftervertrag auch keine Öffnungsklausel i. S. v. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, die eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Verteilung durch eine gesonderte Beschlussfassung erlaubt.
Das Finanzamt stufte die Ausschüttungsbeschlüsse wegen der inkongruenten Gewinnverteilung als zivilrechtlich nichtig ein. Nach Auffassung des FA hatte der A aufgrund seines Gesellschaftsverhältnisses zur K-GmbH den ihm zustehenden Anteil an der Ausschüttung der T-GmbH zugewandt und dadurch Einkünfte aus einer verdeckten Gewinnausschüttung erzielt. Für den Fall, dass die Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zivilrechtlich doch wirksam sein sollten, seien die Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO einzustufen.
Punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse sind wirksam
Der BFH stellte im Urteil vom 28.9.22 (VIII R 20/20) nun klar, dass punktuelle Gesellschafterbeschlüsse, deren Wirkung sich in einem Einzelakt erschöpfen, sehr wohl eine inkongruente Gewinnausschüttung zulassen können. Solche Beschlüsse sind nicht zivilrechtlich nichtig, sondern bei der GmbH nur anfechtbar. Die zivilrechtliche Wirksamkeit der Beschlüsse ergab sich im Urteilsfall daraus, dass sämtliche Gesellschafter der inkongruenten Gewinnausschüttung zugestimmt haben. In diesem Fall konnte der Gesellschafterbeschluss von keinem Gesellschafter mehr angefochten werden.
Praxistipp
Im Gegensatz dazu wären satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse mit Dauerwirkung zivilrechtlich nichtig und eine inkongruente Gewinnausschüttung wäre steuerlich unzulässig. In dem Urteilsfall wurde die inkongruente Gewinnausschüttung zwar für die Jahre 2012 bis 2015 beschlossen, jedoch für jedes einzelne Jahr in einer einzelnen Gesellschafterversammlung.
Kein Gestaltungsmissbrauch bei zivilrechtlich anzuerkennenden Beschlüssen
Die Finanzämter müssen inkongruente Gewinnausschüttungen grundsätzlich anerkennen, wenn diese auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen (BFH 4.12.14, IV R 28/11). Das Finanzamt muss zudem berücksichtigen, dass dem Gesellschafter A kein steuerlicher Vorteil durch inkongruente Gewinnausschüttung zugunsten der T-GmbH entstanden ist, weil bei einer späteren Gewinnausschüttung durch die T-GmbH an den Gesellschafter A die Versteuerung der Kapitaleinkünfte nachgeholt wird. Ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO wurde im Urteilsfall deshalb nicht erkannt.
Grundsätze des BFH-Urteils gelten nicht nur für inkongruente Vorabausschüttungen
Sollte das Finanzamt das Urteil des BFH vom 28.9.2022 nur bei Vorabgewinnausschüttungen anerkennen und nicht bei Gewinnausschüttungen, sollte gegen die nachteiligen Steuerbescheide Einspruch eingelegt werden. Zudem empfiehlt es sich, die übergeordnete Behörde (OFD, LfSt) einzuschalten und um deren Meinung zu bitten. Denn die Urteilsgrundsätze gelten für alle Gewinnausschüttungen und nicht nur für Vorabgewinnausschüttungen.
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BFH 28.9.22, VIII R 20/20