Ein Steuerpflichtiger, der im Rahmen einer Betriebsaufgabe betriebliche Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert, kann – wie bei der Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge – zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung des entsprechenden Gewinns wählen.
Grundsatz
Im Fall der Betriebsveräußerung i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG gegen bestimmte wiederkehrende Bezüge kann der Steuerpflichtige zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung wählen. Veräußert ein Steuerpflichtiger seinen Betrieb gegen wiederkehrende Bezüge – insbesondere gegen eine Leibrente –, gewähren sowohl Rechtsprechung als auch Finanzverwaltung (R 16 Abs. 11 EStR) einkommensteuerrechtliche Erleichterungen. Die Sofortbesteuerung ist zwar der gesetzliche Normalfall, die Zuflussbesteuerung stellt aber „eine auf Billigkeitserwägungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhende Ausnahmeregelung“ dar. Aus diesem Grund muss der Steuerpflichtige bei einer Betriebsveräußerung die Zuflussbesteuerung auch ausdrücklich wählen.
Die Zuflussbesteuerung bewirkt lediglich eine zeitliche Streckung der anfallenden Steuerzahlungen, die sich der Steuerpflichtige durch den Verlust der Begünstigungen des § 16 Abs. 4 EStG (Freibetrag) und des § 34 EStG (ermäßigter Steuersatz) quasi „erkauft“.
Entscheidung
Der BFH hat nun entschieden, dass das Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung im Fall einer Betriebsaufgabe auch dann Anwendung findet, wenn Wirtschaftsgüter gegen langfristig wiederkehrende Bezüge, insbesondere Leibrenten, veräußert werden, da eine vergleichbare Interessenlage vorliegt.
Bislang hatte der BFH lediglich entschieden, dass ein solches Wahlrecht bei der Veräußerung eines einzelnen Wirtschaftsguts gegen Leibrente aus einem fortbestehenden Betrieb nicht zu gewähren ist und dies damit begründet, dass der Betrieb nach der Veräußerung des Wirtschaftsguts beim Veräußerer fortbesteht und der Gewinn des Todesjahres durch eine Ausbuchung der aktivierten Leibrentenforderung gemindert wird.
Hiervon unterscheidet sich jedoch eine Betriebsaufgabe, bei der ebenfalls Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert werden. Denn ebenso wie nach der Betriebsveräußerung im Ganzen ist der Veräußerer nach einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht mehr Inhaber des Betriebs. Wie bei einer Betriebsveräußerung liegt es in seinem Interesse, für diese Veräußerung nicht mehr Einkommensteuer zahlen zu müssen, als er nach Maßgabe der tatsächlich zugeflossenen Rentenzahlungen müsste. Dieses Risiko ist auch bei einer Betriebsaufgabe vorhanden. Stirbt der (frühere) Betriebsinhaber vor Erreichen seiner statistischen Lebenserwartung, hätte er einen Gewinn zu versteuern, der nachträglich nicht korrigiert werden kann, da kein rückwirkendes Ereignis gegeben ist, sondern sich ein vertragsimmanentes Wagnis konkretisiert.
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BFH 29.6.22, X R 6/20