In einem interessanten aktuellen Streitfall ging es um die Frage, ob die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG auch dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. In diesem Zusammenhang musste der BFH auch klären, ob ein Verbrauch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch dann gilt, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamts nicht erkennbar war. Der BFH hob das vorherige FG-Urteil auf und entschied zulasten des Steuerpflichtigen. Welche Konsequenzen hat das für die Praxis?
Hintergrund
Für außerordentliche Einkünfte sieht der Gesetzgeber bestimmte Steuervergünstigungen vor. Dadurch sollen u. a. Progressionsnachteile ausgeglichen werden. Als außerordentliche Einkünfte kommen gemäß § 34 Abs. 2 EStG nur in Betracht:
- Veräußerungsgewinne i. . . §§ 14, 14a Abs. 1, der §§ 16 und 18 Abs. 3 EStG mit Ausnahme des steuerpflichtigen Teils der Veräußerungsgewinne, die nach § 3 Nr. 40 Buchst. b i. . . § 3c Abs. 2 EStG teilweise steuerbefreit sind (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG)
- Entschädigungen i. . . § 24 Nr. 1 EStG)
- Nutzungsvergütungen und Zinsen i. . . § 24 Nr. 3 EStG, soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden
- Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten; mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.
Praxistipp
Weit bekannt ist die Fünftelregelung nach § 34 Abs. 1 EStG, die vor allem bei Abfindungszahlungen und Betriebsveräußerungen im Ganzen und Betriebsaufgaben gewährt wird. Für die Fünftelregelung ist kein Antrag notwendig. Sie wird von Amts wegen gewährt.
Lukrative Alternative: Besonderer Steuersatz auf Antrag
Alternativ kann – unter gewissen Voraussetzungen – auf Antrag des Steuerpflichtigen anstelle der Fünftelregelung ein besonderer Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG gewählt werden. Dabei muss es sich aber um außerordentliche Einkünfte i. . . § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG handeln, also um Gewinne aus Betriebsveräußerungen im Ganzen oder Betriebsaufgaben. Der Gesetzgeber will mit § 34 Abs. 3 EStG den anlässlich seines Ausscheidens aus dem Berufsleben erzielten Gewinn des Steuerpflichtigen zur Sicherung der Altersvorsorge steuerlich begünstigen. Dadurch sollen unter anderem Progressionsnachteile ausgeglichen werden.
Steuerliche Vergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG
Gemäß § 34 Abs. 3 EStG kann ein ermäßigter Steuersatz beantragt werden. Der ermäßigte Steuersatz beträgt 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes, der sich ergäbe, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zuzüglich der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen wäre, mindestens jedoch 14 %. Auf das um die außerordentlichen Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (sog. verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) sind vorbehaltlich des § 34 Abs. 1 EStG die allgemeinen Tarifvorschriften anzuwenden.
Voraussetzungen des besonderen Steuersatzes
Der Steuerpflichtige muss das 55. Lebensjahr vollendet haben oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig sein. Die Ermäßigung kann der Steuerpflichtige dabei nur einmal im Leben in Anspruch nehmen. Dabei sind die Voraussetzungen mit denen aus § 16 Abs. 4 EStG (Freibetrag bei Betriebsveräußerungen im Ganzen und Betriebsaufgaben) insoweit identisch. Das Wahlrecht nach § 16 Abs. 4 EStG und § 34 Abs. 3 EStG kann aber unabhängig voneinander angewendet werden. Das heißt, dass z. B. ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG nicht, gleichwohl aber der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG beantragt werden kann.
Praxistipp
Es ist regelmäßig vorab zu prüfen, ob ein Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG für die außerordentlichen Einkünfte gestellt werden soll. Denn dieser wird nur einmal im Leben des Steuerpflichtigen gewährt. Eine Veranlagungssimulation kann Abhilfe schaffen.
Aktuelle Streitfragen
Strittig war, ob die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG auch dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Zudem musste der BFH klären, ob ein Verbrauch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch dann gilt, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamts nicht erkennbar war.
Sachverhalt
Ein Gesellschafter (56 Jahre) einer Gemeinschaftspraxis veräußerte im Jahr 2016 seinen Anteil an der Gesellschaft. Seinen gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn, der im gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheid für 2016 festgestellt wurde, erklärte er in seiner ESt-Erklärung 2016. Im bestandskräftigen, nicht mehr änderbaren ESt-Bescheid 2006 hatte das Finanzamt bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit nach § 18 EStG einen Veräußerungsgewinn i. . . ca. 40.000 EUR erfasst und für diesen die Tarifbegünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG gewährt, was zu einer Steuerminderung von ca. 8.000 EUR führte. Bei dem Betrag von 40.000 EUR handelte es sich allerdings nicht um einen Veräußerungsgewinn des Steuerpflichtigen, sondern um Nachzahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung an die Gemeinschaftspraxis, die dem Steuerpflichtigen im Feststellungsbescheid 2006 anteilig i. . . 40.000 EUR als laufende tarifbegünstigte Einkünfte i. . . § 24 Nr. 1 und 3 EStG bzw. § 34 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 EStG zugerechnet worden waren. Das Finanzamt lehnte die hierfür beantragte Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG ab, da dem Steuerpflichtigen die Tarifermäßigung bereits im Jahr 2006 gewährt worden war und damit ein Verbrauch eingetreten sei.
Fehler des Finanzamts
Das Problem war, dass das Finanzamt die Mitteilung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Gemeinschaftspraxis 2006 unzutreffend ausgewertet hatte und dem Steuerpflichtigen die Tarifbegünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG für diese Einkünfte gewährt hatte, obwohl der Steuerpflichtige weder einen entsprechenden Veräußerungsgewinn erzielt noch einen Antrag auf Gewährung der Tarifbegünstigung gestellt hatte.
Beachten Sie | Nach den Feststellungen des Gerichts war der Fehler des Finanzamts dem Steuerbüro bekannt gewesen und aufgefallen.
Entscheidung des BFH
Mit Urteil vom 28.9.2021 (VIII R 2/19) entschied der BFH, dass die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, auch dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Dies gilt nach Auffassung des BFH selbst dann, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn i. . . § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG handelt. Damit hob der BFH das vorherige Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 28.11.2018 (2 K 205/17) auf, das insoweit noch zu einer anderen Rechtsfolge kam und dem Steuerpflichtigen recht gab.
Ausnahme: Der BFH erkennt nur eine Ausnahme an. In seinem Urteil stellt er klar, dass etwas anderes nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann gilt, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamts nicht erkennbar war.
In der Urteilsbegründung verweist der BFH auf die ständige Rechtsprechung, wonach eine antragsgebundene Steuervergünstigung, die dem Steuerpflichtigen nur einmal gewährt werden kann, für die Zukunft auch dann „verbraucht“ ist, wenn die Vergünstigung vom Finanzamt zu Unrecht gewährt worden ist, insbesondere wenn ein erforderlicher Antrag vom Steuerpflichtigen nicht gestellt wurde. Entscheidend sei allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt habe und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.
Praxistipp
Wenn der Steuerpflichtige sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt wurde (BFH 28.9.21, VIII R 2/19, Rz. 16).
Der BFH räumt aber ein, dass ein Steuerpflichtiger sich die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben dann nicht entgegenhalten zu lassen braucht, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat (z. B. BFH 1.12.15, X B 111/15, BFH/NV 16, 199).
Auch aus der Formulierung zieht der BFH keine anderen Schlüsse
Auch aus dem Wortlaut des Gesetzes ist nach Auffassung des BFH nicht herzuleiten, dass eine zum Verbrauch führende „Inanspruchnahme“ der Vergünstigung nur vorliegt, wenn der Steuerpflichtige einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Formulierung „in Anspruch nehmen“ verdeutlicht zwar, dass das Gesetz dem Steuerpflichtigen in § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG ein Wahlrecht einräumt, zwingt aber nicht zu der Annahme. Für eine Inanspruchnahme sei ein aktives Handeln des Steuerpflichtigen erforderlich. Ein solches wird aufgrund des Antragserfordernisses in § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG zwar regelmäßig vorliegen. In Anspruch genommen i. . . § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG wird die Vergünstigung aber auch dann, wenn das Finanzamt irrtümlich vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Vergünstigung ausgeht und der Steuerpflichtige diese für ihn günstige Entscheidung billigt. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Gesetz in Bezug auf die antragsgebundenen Vergünstigungen des § 34 Abs. 3 EStG („in Anspruch nehmen“) und des § 16 Abs. 4 EStG („zu gewähren“) unterschiedliche Formulierungen verwendet. Die abweichende Wortwahl zeigt keine inhaltlichen Unterschiede der Regelungen auf, sondern beruht darauf, dass der Gesetzgeber § 16 Abs. 4 EStG aus der Perspektive der Finanzbehörde und § 34 Abs. 3 EStG aus Sicht des Steuerpflichtigen formuliert hat, so der BFH (28.9.21, VIII R 2/19, Rz. 21).
Fazit | er BFH nimmt keine Differenzierung vor, ob oder aus welchen Gründen die Vergünstigung zu Unrecht gewährt wurde. Es ist also völlig unerheblich, dass für eine „Inanspruchnahme“ der Ermäßigung ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen gestellt werden muss. In der Praxis ist daher darauf zu achten, dass der Verbrauch der Vergünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG auch dann vorliegt, wenn gar kein begünstigungsfähiger Veräußerungsgewinn vorgelegen hat und auch kein Antrag durch den Steuerpflichtigen auf Gewährung der Vergünstigung gestellt wurde.
Allein durch einen Fehler des Finanzamts aufgrund einer fehlerhaften Gewährung der Vergünstigung, kann daher ein Verbrauch eingetreten sein. Das führt insbesondere dann zu einer Steuerfalle, wenn der steuerliche Vorteil in der unzutreffenden Vergünstigung deutlich geringer ausfällt als beim (späteren) zutreffenden Vorgang, z. B. bei einem Gewinn aus einer Betriebsveräußerung im Ganzen. Insoweit besteht also ein Risiko: Das stillschweigende Billigen einer unzutreffenden Vergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG führt zu einem Verbrauch. Eine fehlerhafte Gewährung seitens des Finanzamts sollte daher mittels Einspruchs angefochten werden, um einen Verbrauch zu vermeiden. Die anfängliche Freude über eine geringere Steuerbelastung kann ansonsten schnell zu einer Mehrbelastung führen.
Beachten Sie | Eine andere Rechtsfolge gilt nur dann, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Steuerbescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamts nicht erkennbar war.
Nach Auffassung des BFH ist es für den Verbrauch der Vergünstigung allein ausschlaggebend, dass der Steuerpflichtige den ihn begünstigenden Irrtum des Finanzamts erkennt und billigt. Der Nachweis dürfte in der Praxis nicht einfach sein.
fundstelle
BFH 28.9.21, VIII R 2/19