Leistungen eines Unternehmers als Heilerziehungspfleger im Rahmen der Eingliederungshilfe sind weder nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG noch unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerbefreit, wenn die Betreuten sie aus ihren persönlichen Budgets bezahlen.
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige ist staatlich anerkannter Heilerziehungspfleger und war im ersten Vierteljahr 2020 in dem Bereich der Eingliederungshilfe sozialpädagogischer Unterstützungsleistungen im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens tätig. Die zu betreuenden Personen beauftragten ihn und beglichen seine Honorarrechnungen aus ihren persönlichen Budgets.
Im Steuerfestsetzungsverfahren zur Umsatzsteuer führte der Steuerpflichtige aus, dass die Beauftragung durch die Betreuten und die Bezahlung aus deren persönlichen Budgets einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG nicht entgegenstünden.
Die gegenteilige Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs sei nicht überzeugend. An der Art seiner Tätigkeit habe sich unabhängig von der Person des Beauftragenden und des Zahlenden nichts geändert. Zudem gebe der Landkreis vor, welche Leistungen überhaupt in Anspruch genommen werden dürften. In den meisten Fällen zahle der Landkreis sogar direkt. Seit Mitte 2018 habe er fast ausschließlich im Rahmen des persönlichen Budgets seiner Kunden Leistungen erbracht.
Das Finanzamt teilte diese Rechtsauffassung nicht. Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. a bis k UStG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Steuerpflichtige für seine Tätigkeiten keine Verträge oder Vereinbarungen nach den verschiedenen Vorschriften des Sozialrechts geschlossen habe. Seine erzielten Umsätze seien auch nicht nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG steuerbefreit, weil er nur Leistungen erbracht habe, die die Betreuten über ihr persönliches Budgets bezahlt hätten. Die Leistungsbeziehungen bestünden ausschließlich zwischen dem Steuerpflichtigen und seinen hilfebedürftigen Kunden. Der Landkreis sei nicht der Empfänger der jeweiligen Leistungen, eine Bezahlung durch ihn im Rahmen eines abgekürzten Zahlungswegs ändere an diesem Befund nichts. Auch der BFH vertrete diese Auffassung.
Entscheidung
Nach Auffassung des Finanzgerichts ist die Klage unbegründet. Die Umsätze des Steuerpflichtigen sind steuerpflichtig, weil die Steuerbefreiungsvorschriften des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. h und Buchst. l UStG nicht einschlägig sind und der Steuerpflichtige sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen kann.
Keine Umsatzsteuerbefreiung aus § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG
Nach § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG sind die Leistungen der Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung nach § 123 SGB IX oder § 76 SGB XII besteht, unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG steuerbefreit.
Nach § 123 Abs. 1 SGB IX darf der Träger der Eingliederungshilfe Leistungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich nur dann bewilligen, wenn eine schriftliche Vereinbarung
* zwischen dem Träger des Leistungserbringers und
* dem für den Ort der Leistungserbringung zuständigen Träger der Eingliederungshilfe besteht.
Unstreitig hat der Steuerpflichtige im Streitzeitraum seine Leistungen auf der Grundlage von Aufträgen der Betreuten erbracht. Ein unmittelbares Vertragsverhältnis mit dem Träger der Eingliederungshilfe bestand nicht.
Auch bestanden keine Vereinbarungen im Sinne des § 76 SGB XII mit dem zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe. Der Umstand, dass der Landkreis als örtlicher Träger der Eingliederungs- oder Sozialhilfe die Honorarforderungen des Steuerpflichtigen beglichen hat, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil dabei der Anspruch der Betreuten aus ihren persönlichen Budgets gemindert, somit nur der Zahlungsweg abgekürzt wurde. Schon aus diesem Grund scheidet eine Steuerbefreiung der Umsätze des Steuerpflichtigen nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. h UStG aus.
Keine Umsatzsteuerbefreiung aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL
Der Steuerpflichtige kann sich zur Begründung der Steuerfreiheit seiner erbrachten sonstigen Leistungen nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Die Beschränkung der Umsatzsteuerfreiheit für Eingliederungsleistungen nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. h UStG auf solche, mit denen die dort aufgeführten Vereinbarungen bestehen, ist unionsrechtskonform. Eine über den Anwendungsbereich der nationalen Vorschrift hinausgehende Steuerfreiheit unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich das Finanzgericht anschließt, nicht geboten.
Keine Umsatzsteuerbefreiung aus § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG
Auch § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG ist nicht einschlägig. Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich ebenfalls auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (Hinweis auf Ziffer 2).
Der Gesetzgeber hat auf dieser Grundlage einen ausdrücklich als solchen bezeichneten Auffangtatbestand geschaffen, der bei Einrichtungen, die nicht unter § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. a bis k UStG fallen, zur Anwendung kommt. Er war dabei berechtigt, die Steuerbefreiung davon abhängig zu machen, ob bei der betreffenden Einrichtung die Betreuungskosten in mindestens 25 v. H. der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.
Die Norm ist nach Meinung des FG nur insoweit unionsrechtskonform auszulegen, als bei der Prüfung der prozentualen Schwelle nicht auf die Verhältnisse im vorangegangenen Kalenderjahr, sondern auf die des laufenden Jahres abzustellen ist. Unstreitig ist der Schwellwert weder im Streitzeitraum noch im Jahr 2019 überschritten worden, weil der Steuerpflichtige seit Juli 2018 für die Betreuten direkt tätig geworden ist.
Dem Einwand des Steuerpflichtigen, dass der Landkreis als örtlicher Träger die Kosten für seine Leistungen oftmals direkt an ihn aus den Mitteln des persönlichen Budgets ausgezahlt habe, brauchte das Gericht nicht weiter nachzugehen. Selbst wenn dieser Vortrag zutreffend sei, läge kein Fall einer hinreichenden mittelbaren Kostentragung durch den Leistungsträger vor. Eine solche erfordert nach der Rechtsprechung des BFH, dass ein Subunternehmer für einen Anbieter tätig wird, der wiederum Aufträge durch den Träger der Eingliederungshilfe erhält. Nur dann sagt der Träger in Kenntnis des Subunternehmers die Übernahme der anfallenden Kosten für die Leistungen des Subunternehmers zu. Vergütet der Kostenträger dagegen nicht Leistungen des Subunternehmers, sondern lediglich Leistungen des Leistungserbringers, werden die Leistungen des Subunternehmers gerade nicht von einem in der Befreiungsvorschrift näher benannten Träger vergütet. Diese vom BFH entwickelten Grundsätze sind nicht auf den Streitfall übertragbar, weil hier die Auftragserteilung durch den Betreuten selbst erfolgt und der Landkreis lediglich als dessen Zahl- und Verwaltungsstelle für dessen persönliches Budget tätig wird.
Praxistipp
Entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen kann die Einbeziehung der Empfehlung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 21.3.2013 nicht zu einem hiervon abweichenden Ergebnis führen, weil diese Empfehlungen keinen Niederschlag im Gesetz gefunden haben.
Der Gesetzgeber hat bei den bisherigen Änderungen des § 4 Nr. 16 UStG in der Vergangenheit immer an der Mindestgrenze als Abgrenzungskriterium für den Auffangtatbestand festgehalten.
Auch bei der Neuregelung der Vorschrift durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 mit Wirkung vom 1.1.2021 blieb die Mindestgrenze in § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. m UStG n. F. mit 25 % erhalten, nur die von der Rechtsprechung beanstandete Anknüpfung an die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahres wurde modifiziert, um diese Rechtsprechung „vollständig umzusetzen“.
fundstelle
FG Niedersachsen 25.3.21, 11 K 252/20