Die EU-Kommission hat im Oktober 2017 erstmals ihre Pläne für die größte Reform der Mehrwertsteuervorschriften seit einem Vierteljahrhundert vorgelegt. Die Kommission hat dadurch eine Diskussion angestoßen, die im September 2018 zu einem finalen Reformvorschlag führte. Durch die Neuregelung soll das System für alle Beteiligten – also die Fisken der Mitgliedstaaten und die Unternehmen – gleichermaßen verbessert und modernisiert werden. Da hierzu ein zeitlicher Vorlauf unabdingbar ist, greifen ab dem 1.1.2020 erste Sofortmaßnahmen.
Umstellung auf ein endgültiges MwSt-System wird dauern
EU-Kommission und Rat sind sich bewusst, dass die eigentlich gewünschte endgültige Systemumstellung mehrere Jahre dauern wird.
Derzeitige Schwachstellen dulden kein Zuwarten
Insgesamt gehen jedes Jahr unionsweit mehr als 150 Mrd. EUR an Mehrwertsteuern verloren. Allein der grenzüberschreitende Betrug verursacht jährliche Mehrwertsteuereinbußen von rund 50 Mrd. EUR und damit 100 EUR pro EU-Bürger. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen haben derzeit um 11 % höhere Kosten für die Vorschrifteneinhaltung als nur im Inland tätige Unternehmen. Diese Schwachstellen sollen vorab behoben werden.
Drei Gesetzgebungsakte vom 4.12.2018
Der Rat der EU hat dazu am 4.12.2018 folgende Gesetzgebungsakte angenommen:
- Richtlinie hinsichtlich bestimmter Harmonisierungs- und Vereinfachungsregeln des Mehrwertsteuersystems für die Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
- Verordnung hinsichtlich des Informationsaustauschs für die Überwachung der Anwendung der Konsignationslagerregelung
- Verordnung hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen
Vier Sofortmaßnahmen
Die Gesetzgebungsakte regeln bis zur Einführung eines neuen MwSt-Systems folgende Problembereiche:
- Konsignationslager (Call-off Stock): Der Text sieht eine vereinfachte und einheitliche Behandlung für die Konsignationslagerregelungen vor, bei denen ein Verkäufer Gegenstände in ein Lager verbringt, das einem bekannten Erwerber in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung steht.
- Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer: Die Identifikationsnummer des Erwerbers wird eine zusätzliche Voraussetzung für die Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen.
- Reihengeschäfte: Die Texte sehen einheitliche Kriterien vor, um die Rechtssicherheit bei der Bestimmung der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften zu verbessern.
- Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung: Es wird ein gemeinsamer Rahmen für die Belege festgelegt, die für die Beantragung einer Mehrwertsteuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen erforderlich sind.
Inkrafttreten
Die Sofortmaßnahmen sollen ab 1.1.2020 gelten:
- Grundsätzlich bedarf es dazu einer Umsetzung in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedstaaten (Transformationsgesetz). Wegen des Inkrafttretens zum 1.1.2020 muss das bis zum 31.12.2019 erfolgen.
- Keiner Transformation bedarf der neue Nachweis für die innergemeinschaftliche Lieferung. Art. 45a (neu) der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 findet ab 1.1.2020 in den Mitgliedstaaten unmittelbare Anwendung.
Vorläufig „aussortiert“: Der zertifizierte Steuerpflichtige
Die Sofortmaßnahmen führen in der Regel
- zu Begünstigungen der sie anwendenden Unternehmen und
- gleichzeitig zu Steuerausfallrisiken des Fiskus.
Daher sollte die Anwendung der Begünstigungen ursprünglich davon abhängen, dass die Unternehmen der Finanzverwaltung ihre Vertrauenswürdigkeit bewiesen haben (Einstufung als „ZS“ oder „CTP = certified taxable person).
Der ZS wurde wegen des Diskussionsbedarfs zurückgestellt und soll spätestens bei der Umstellung auf ein endgültiges MwSt-System eingeführt werden.
Beachten Sie | Für die Unternehmen wird es daher Sinn machen, sich rechtzeitig mit den Antragsvoraussetzungen und Folgen des Zertifikats vertraut zu machen.
Fundstellen
* Rat der EU, Pressemitteilung 715/18 vom 4.12.2018
* Richtlinie hinsichtlich bestimmter Harmonisierungs- und Vereinfachungsregeln des Mehrwertsteuersystems für die Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
* Verordnung hinsichtlich des Informationsaustauschs für die Überwachung der Anwendung der Konsignationslagerregelung
* Verordnung hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen
von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dortmund