Die Anordnung einer Durchsuchung der Privaträume eines GmbH-Geschäftsführers, der im Verdacht steht, eine Insolvenz verschleppt zu haben, ist unverhältnismäßig. Eine Durchsuchung bei einem Beschuldigten (nach § 102 StPO) erfordert den konkreten Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde.
Vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen in diesem Zusammenhang nicht aus. Das hat das BVerfG in einem aktuellen Beschluss erneut hervorgehoben.
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Sachverhalt
Aufgrund einer Anzeige leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche einer GmbH wegen Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO) ein. Sie beantragte anschließend beim Ermittlungsrichter für die Firmenräume und die Privatwohnung des Geschäftsführers sofort einen Durchsuchungsbeschluss, der auch zeitnah vollzogen wurde.
Nachdem sich die Ermittlungen ein Jahr hingezogen hatten, wurde das Verfahren mangels Nachweises einer Straftat eingestellt (§ 170 Abs. 2 StPO). Eine vorangegangene Beschwerde des Beschuldigten gegen die richterliche Anordnung blieb erfolglos. Das BVerfG stellte demgegenüber einen Verstoß gegen den Art. 13 Abs. 1 GG – Unverletzlichkeit der Wohnung – fest.
Entscheidung
Mit einer Durchsuchung ist stets ein schwerwiegender Eingriff in die durch Art. 13 GG geschützte räumliche Lebenssphäre des Einzelnen verbunden. Um eine solche Belastung zu rechtfertigen, ist stets ein erheblicher Anfangsverdacht erforderlich.
Dieser Anfangsverdacht muss über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen und auf konkreten Tatsachen beruhen. Eine Durchsuchung darf daher nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines solchen Anfangsverdachts erst erforderlich sind.
Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine staatliche Maßnahme ist dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen ohne Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden.
Die Richter sahen diese Prinzipien als verletzt an, weil aus ihrer Sicht schon kein hinreichender Anfangsverdacht gegeben war. Die Anträge der Staatsanwaltschaft wurden lediglich darauf gestützt, dass die Gesellschaft zuvor regelmäßig erbrachte Mietzahlungen nicht mehr geleistet und der Geschäftsführer zudem von einer finanziellen Notlage gesprochen hatte. Nähere Erkenntnisse zu den finanziellen Verhältnissen der GmbH fehlten demgegenüber zu Beginn der Ermittlungen vollständig.
Außerdem hatte der Geschäftsführer ausdrücklich erklärt, die – unstreitigen – offenen Mietforderungen sollten mit konkreten Gegenforderungen verrechnet werden.
Bei dieser Sachlage hätten die Ermittlungsbehörden vor einer Durchsuchung zuerst alle naheliegenden weniger eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen in Betracht ziehen müssen.
Insbesondere hätte man die Finanzlage der GmbH durch Einsichtnahme in das Schuldnerverzeichnis und in die nach § 325 HGB publizierungspflichtigen und daher leicht zugänglichen Jahresabschlüsse überprüfen können. Auch hätte die Möglichkeit bestanden, Kontoabfragen bei der BaFin bzw. den einzelnen Kreditinstituten durchzuführen, um so die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens festzustellen.
Praxishinweis
Vorschnelle Durchsuchungsmaßnahmen führen immer wieder zu heftigen Rügen des BVerfG, die – wie die vorliegende Entscheidung erneut belegt – von den Staatsanwaltschaften bzw. den Ermittlungsrichtern in der Praxis häufig nicht in vollem Umfang beachtet werden.
Auch die Rechtsmittelgerichte geben diesbezüglichen Beschwerden nur selten Recht. Dem Betroffenen bleibt nach Abschluss der gerade in Wirtschaftsstrafsachen sich teils jahrelang hinziehenden Verfahren bei einer Einstellung faktisch lediglich die Möglichkeit, Entschädigungsansprüche auf der Basis des Strafverfolgungsentschädigungsgesetzes (StrEG) geltend zu machen.
von Oberstaatsanwalt Raimund Weyand, St. Ingbert
Fundstelle
BVerfG 10.1.18, 2 BvR 2993/14