Ist der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres bestandskräftig und berücksichtigt er keinen Verlust, ist der erstmalige Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustvortrag (nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i. d. F. des JStG 2010) nur zulässig, soweit eine Korrektur dieses Steuerbescheids gemäß AO möglich ist und diese der Steuerfestsetzung tatsächlich zugrunde gelegt worden sind.
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Hintergrund
Wird der Verlust eines Jahres nicht oder nicht vollständig per Rücktrag mit Gewinnen des Vorjahres ausgeglichen oder kann ein Verlustvortrag aus dem Vorjahr nicht vollständig mit Gewinnen des laufenden Jahres verrechnet werden, wird der nicht verrechnete Rest vom Finanzamt zwingend in das Folgejahr vorgetragen (§ 10d Abs. 2 EStG).
Anders als beim Verlustrücktrag gibt es beim Verlustvortrag keine zeitliche Begrenzung auf ein Jahr. Die negativen Einkünfte werden so lange Jahr für Jahr vorgetragen, bis davon nichts mehr übrig ist.
Ein Verlustvortrag ist nur möglich, wenn er vom Finanzamt in einem „Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags“ zum Schluss des Kalenderjahres (31.12.) gesondert festgestellt wird (§ 10d Abs. 4 Satz 1 EStG).
Das ist der „Verlustfeststellungsbescheid“, der für jeden Ehegatten getrennt erfolgt. Der verbleibende Verlustvortrag ist der Verlust, der in dem betreffenden Jahr weder mit aktuellen Gewinnen noch durch Rücktrag ausgeglichen werden konnte. In ihn geht auch ein aus früheren Jahren vorgetragener, im laufenden Jahr nicht verrechneter Verlust ein.
Sachverhalt
Das FA setzte mit bestandskräftig gewordenem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2006 die Einkommensteuer fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung erhöhte das FA mit geändertem Einkommensteuerbescheid die festgesetzte Einkommensteuer. Die Steuerpflichtigen legten gegen diesen Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und erklärten erstmals negative Einkünfte. Sie beantragten zudem die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags.
Daraufhin änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, indem es den erstmals erklärten Verlust berücksichtigte, wodurch sich ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte ergab. Hinsichtlich des negativen Gesamtbetrags der Einkünfte nahm das FA einen Verlustrücktrag nach 2005 vor. Eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2006 lehnte das FA dagegen ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg.
Entscheidung
Auch der BFH entschied, dass eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31.12.2006 ausscheidet. Mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG wird eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist.
Die Bindungswirkung setzt aber voraus, dass eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist. Wird der Einkommensteuerbescheid bestandskräftig und berücksichtigt er keinen Verlust, kommt eine Verlustfeststellung nur noch in Betracht, wenn und soweit der Steuerbescheid des Verlustentstehungsjahres nach den Vorschriften der Abgabenordnung änderbar ist.
Der erstmalige Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustvortrag ist danach ebenso wie die Änderung der Verlustfeststellung von der Reichweite der verfahrensrechtlichen Änderungsmöglichkeit der Steuerfestsetzung (§§ 164 f., §§ 172 ff. AO) im Verlustentstehungsjahr abhängig.
Eine von der Einkommensteuerfestsetzung abweichende Berücksichtigung der Besteuerungsgrundlagen (allein) im Bescheid über den verbleibenden Verlustabzug war im Sachverhalt nicht möglich. Denn eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2006 konnte deshalb nicht erfolgen, weil der Einkommensteuerbescheid bestandskräftig war und insoweit die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift im Streitfall nicht vorlagen.
Fundstelle
BFH 12.7.16, IX R 31/15