Sind die Angaben in einer Rechnung nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder unzutreffend, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen, ist das Finanzamt daran gehindert, das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb zu verweigern, weil die Rechnung, die der Steuerpflichtige besitzt, nicht ordnungsgemäß ist. Dies gilt zumindest unter der Voraussetzung, dass das Finanzamt über alle notwendigen Informationen verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug vorliegen.
Sachverhalt
Die Steuerpflichtige hatte im Jahr 1992 ohne Beanstandung durch das Finanzamt den Vorsteuerabzug aus Rechnungen in Anspruch genommen, die zwar Angaben zum Leistungsempfänger enthielten, die aber entweder fehlerhaft oder unvollständig waren. Ihr gingen im Jahr 2014 (Streitjahr) berichtigte Rechnungen zu, die sie als Leistungsempfängerin nunmehr zutreffend bezeichneten. Daher machte sie geltend, dass sie aufgrund der Rechnungsberichtigungen für das Streitjahr erstmals zum Vorsteuerabzug berechtigt sei.
Das Finanzamt folgte dem nicht. Auch die Klage zum Finanzgericht hatte keinen Erfolg. Nach dem Urteil des Finanzgerichts waren die in 1992 ausgestellten Rechnungen berichtigungsfähig, da sie Angaben zum Leistungsempfänger enthielten, die nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder unzutreffend waren, dass sie fehlenden Angaben gleichstanden. Zudem komme die Anwendung einer finanzbehördlichen Übergangsregelung nicht in Betracht, da sie den Vorsteuerabzug aus den ursprünglichen Rechnungen bereits im Jahr 1992 erlangt habe. Rückzahlungsbeträge aufgrund geänderter Festsetzungen seien nicht entrichtet worden. Hiergegen wendet sich die Steuerpflichtige mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidung
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Beschwerde wirft zwar die abstrakte Rechtsfrage auf, ob die zutreffenden Angaben zum Leistungsempfänger eine fundamentale Angabe einer Rechnung darstellen, sodass eine rückwirkende Berichtigung einer in dieser Hinsicht fehlerhaften Rechnung nicht in Betracht kommt. Diese Rechtsfrage ist jedoch im Streitfall nicht klärbar.
Das Finanzgericht hat seine Entscheidung insbesondere damit begründet, dass die im Jahr 1992 ausgestellten Rechnungen berichtigungsfähig waren, da sie Angaben zum Leistungsempfänger enthielten, die nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder unzutreffend waren, dass sie fehlenden Angaben gleichstanden, zumal keine Verwechselungsgefahr bestanden habe.
In einem derartigen Fall, in dem die Rechtsprechung des BFH, auf die sich das Finanzgericht bei seiner Entscheidung bezogen hat, eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung zulässt, sind zudem nach der Rechtsprechung des EuGH die nationalen Steuerbehörden daran gehindert, das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb zu verweigern, weil die Rechnung, die der Steuerpflichtige besitzt, nicht ordnungsgemäß ist, obwohl diese Behörden über alle notwendigen Informationen verfügen, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts vorliegen.
Eine solche Situation lag im Streitfall jedenfalls insoweit vor, als die Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug bereits für das Jahr 1992 zunächst erhalten hatte und fehlende Ausübungsvoraussetzungen nach dem Urteil des FG durch die Berichtigung rückwirkend hergestellt wurden.
Praxistipp
Die tatsächlich erfolgte Vorsteuererstattung durch das Finanzamt spricht damit gegen vollumfänglich irrelevante Rechnungsangaben!
Anmerkung
Das Urteil muss im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit rundherum Beifall finden. Warum? Ganz einfach:
* Die Steuerpflichtige hat im Jahr 1992 die Vorsteuern gezogen –unbeanstandet vom Finanzamt. Letzteres hat – das ist natürlich reine Spekulation – eine gewisse Unregelmäßigkeit bemerkt, aber „ein Auge zugedrückt“.
* Und genau das sollte nun ausgenutzt werden. Und zwar, indem die Steuerpflichtige im Jahr 2014 die Erstellung formell korrekter Rechnungen veranlasst hat, die den Vorsteueranspruch – so die Idee – erstmalig haben entstehen lassen.
Eine erfreulich simple Lösung! Hätten Finanzgericht und BFH dies anders gesehen, wäre die Anleitung zu einem neuen Betrugsmodell geschrieben worden!
fundstelle
BFH 14.1.22, XI B 105/21