In einem Vorabentscheidungsersuchen fragt der BFH den EuGH, ob die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einer Organschaft dazu führt, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen. Des Weiteren fragt der BFH, ob entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten besteht.
Hintergrund
Der zu besprechende Vorlagebeschluss ist ein Novum. Es handelt sich bereits um das zweite Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache. Umsatzsteuerlich geht es nunmehr um eine Frage, die sich aufgrund der ersten Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren ergeben hat.
Sachverhalt
Die Steuerpflichtige ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Als Trägerin einer Universität mit Klinik bezog sie Reinigungsleistungen von einer Organgesellschaft (GmbH), die sie sowohl für die steuerfreie Kliniktätigkeit und als auch für den hoheitlichen Ausbildungsbetrieb verwendete.
Das Finanzamt beließ es bei der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze, unterwarf die Verwendung der Reinigungsleistung für Hoheitszwecke aber der Besteuerung als unentgeltliche Wertabgabe. Das Finanzgericht gab der hiergegen gerichteten Klage der Steuerpflichtigen statt.
Im Revisionsverfahren richtete der BFH ein erstes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, das im EuGH-Urteil „Finanzamt T“ seinen Abschluss fand. Nunmehr ersucht der BFH den EuGH um eine neuerliche Vorabentscheidung.
Entscheidung
Durch das erste Vorabentscheidungsersuchen war zu klären, ob die nationale Regelung zur Organschaft überhaupt unionsrechtskonform ist und ob es zu einer Entnahmebesteuerung kommt. Dabei hatte der Senat zugrunde gelegt, dass Innenumsätze nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen und daher nicht steuerbar sind.
Nachdem der EuGH diese Fragen in seinem Urteil „Finanzamt T“ geklärt hat und der BFH im Hinblick auf dieses Urteil davon ausgeht, dass die nationale Regelung zur Organschaft dem Grunde nach unionsrechtskonform ist und es im Streitfall zu keiner Entnahmebesteuerung kommt, stellen sich nunmehr im zweiten Vorabentscheidungsersuchen die jetzigen Vorlagefragen. Nunmehr ist zu klären, ob Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegen und sie daher steuerbar sind oder ob sie dem Anwendungsbereich nicht unterliegen und sie daher als nicht steuerbar anzusehen sind.
Nach einer vor einhundert Jahren vom Reichsfinanzhof begründeten Rechtsprechung, die später vom Gesetzgeber in das UStG übernommen wurde, unterliegen Umsätze zwischen den Mitgliedern einer Organschaft nicht der Umsatzsteuer, weil die Organgesellschaft als „unselbstständiger“ Teil im Gesamtunternehmen des übergeordneten Organträgers angesehen wird.
Zweifel an dieser Betrachtung ergeben sich daraus, dass der EuGH die Organgesellschaft als selbstständig ansieht und die Organschaft nach seiner Rechtsprechung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Letzteres könnte zu bejahen sein, wenn der die Leistung von der Organgesellschaft beziehende Organträger, wie im konkreten Streitfall, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Merke | Sollte der EuGH entscheiden, dass Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung steuerbar sind, hätte dies weitreichende Folgen. Umsatzsteuerrechtlich dient die Organschaft seit Einführung der Allphasen-Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug im Jahr 1969 heute nur noch als Gestaltungsinstrument für Unternehmer, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (z. B. Banken und Versicherungen, Unternehmer im Gesundheits- und Sozialwesen und im Bildungsbereich sowie Vermieter von Wohnungen). Nichtabziehbare Vorsteuerbeträge lassen sich bislang für derartige Unternehmen dadurch vermeiden, dass sie mit Dienstleistern Organschaften begründen, sodass die bezogenen Leistungen nicht steuerbar sind.
fundstellen
* BFH Beschluss 26.1.23, V R 20/22 (V R 40/19),
EuGH 1.12.22, C-269/20, Finanzamt T