Ein Kindergeldanspruch nach § 62 EStG setzt eine tatsächliche Steuerpflicht des Anspruchstellers voraus, die nur aufgrund einer tatsächlichen Wohnsitznahme oder eines tatsächlich durchgeführten gewöhnlichen Aufenthalts vermittelt wird. Eine Wohnsitzfiktion genügt nicht.
Grundsatz
Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer in Deutschland einen Wohnsitz und/oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Sachverhalt
Im Streitzeitraum hatte die Antragstellerin weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Eine Wohnsitzfiktion, die sich etwa aus der Regelung in Art. 60 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ergeben könnte, ist für die Gewährung des Kindergeldes nicht ausreichend. § 62 EStG setzt vielmehr eine tatsächliche Steuerpflicht voraus, die nur aufgrund einer tatsächlichen Wohnsitznahme oder eines tatsächlich durchgeführten gewöhnlichen Aufenthalts vermittelt wird.
Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Kindergeld gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt wird. Eine Steuervergütung kann indessen nur erhalten, wer in Deutschland auch tatsächlich zur Einkommensteuer veranlagt werden könnte. Des Weiteren sind die in § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG normierten Anforderungen wortidentisch mit den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG zur unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Im Übrigen verweist § 62 Abs. 1 Satz 1 EStG explizit auf Tatbestände des § 1 EStG.
Dass die Anspruchsberechtigung nach § 62 EStG eine echte Steuerpflicht der Kindergeldberechtigten voraussetzt, ergibt sich schließlich ferner daraus, dass der Gesetzgeber für den Zeitraum ab 2016 das Erfordernis einer steuerlichen Identifikationsnummer i. S. v. § 139b AO als Voraussetzung für die Kindergeldgewährung in den Gesetzestext des § 62 EStG aufgenommen hat. Eine Identifikationsnummer wird gemäß § 139a AO an „Steuerpflichtige“ vergeben. Das sind Personen, die in Deutschland tatsächlich zu besteuern sind.
Bestätigt wird dies auch durch die mit Wirkung für Kindergeldzeiträume ab August 2019 eingeführte Regelung in § 62 Abs. 1a EStG. Danach haben Antragstellende aus dem EU-Ausland mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland nur noch dann Anspruch auf Kindergeld, wenn sie die Voraussetzungen der § 2 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) erfüllen.
fundstelle
FG Sachsen 5.5.22, 6 K 1115/21 (Kg)