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Der Rat der EU hat seine Durchführungsbefugnisse nicht überschritten, indem er klargestellt hat, dass eine Vermutung dafür besteht, dass der Betreiber einer Plattform wie Only Fans der Erbringer der angebotenen Dienstleistungen ist.

Sachverhalt

Fenix International, eine für Mehrwertsteuerzwecke im Vereinigten Königreich registrierte Gesellschaft, betreibt im Internet eine Plattform für ein soziales Netzwerk, die unter dem Namen „Only Fans“ bekannt ist. Diese Plattform wird „Nutzern“ aus der ganzen Welt angeboten, die in „Gestalter“ und „Fans“ unterteilt sind. Fenix stellt nicht nur die Only-Fans-Plattform bereit, sondern auch die Anwendung, die den Einzug und die Verteilung der von den Fans geleisteten Zahlungen ermöglicht. Sie behält 20 % aller an einen Gestalter gezahlten Beträge ein und stellt diesem den entsprechenden Betrag in Rechnung. Auf diesen Betrag erhebt sie Mehrwertsteuer zu einem Satz von 20 %, die in den von ihr ausgestellten Rechnungen ausgewiesen ist.

Die Steuer- und Zollverwaltung des Vereinigten Königreichs richtete an Fenix Bescheide über die Mehrwertsteuer, die für einen Zeitraum in den Jahren 2017 bis 2020 zu entrichten war. Dabei vertrat sie die Auffassung, dass Fenix als im eigenen Namen tätig anzusehen sei. Folglich müsse sie die Mehrwertsteuer auf den gesamten von einem Fan erhaltenen Betrag abführen und nicht nur auf die 20 % dieses Betrags, die sie als Vergütung einbehalte.

Fenix erhob bei einem Gericht des Vereinigten Königreichs Klage. Mit dieser stellte sie im Wesentlichen die Gültigkeit der Rechtsgrundlage der Steuerbescheide infrage, d. h. einer Bestimmung der Durchführungsverordnung des Rates der EU, mit der die Mehrwertsteuerrichtlinie präzisiert werden soll. Das von Fenix angerufene Gericht richtete vor dem Ende des Übergangszeitraums, der auf den Brexit folgte, eine Vorlagefrage an den Gerichtshof, der für deren Beantwortung daher weiterhin zuständig ist. Das Gericht möchte wissen, ob die streitige Bestimmung ungültig ist, weil der Rat die Mehrwertsteuerrichtlinie ergänzt oder geändert und somit die ihm übertragenen Durchführungsbefugnisse überschritten hat.

Entscheidung

Nach Auffassung des EuGH ist die streitige Vorschrift gültig. Der Rat der EU hat seine Durchführungsbefugnisse nicht überschritten.

Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt ein Steuerpflichtiger, der im Rahmen von Dienstleistungen als Vermittler im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt, als Erbringer dieser Dienstleistungen.

In Anbetracht der Entwicklung des Mehrwertsteuersystems und um eine unionsweite einheitliche Anwendung dieser Regelung sicherzustellen, ist nach der Durchführungsverordnung des Rates, wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, „davon auszugehen … , dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist“.

Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn der Anbieter von dem Steuerpflichtigen ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt.

Dagegen wird stets davon ausgegangen, dass ein an der Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist. Er gilt also selbst als Erbringer dieser Dienstleistungen, wenn er die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert, ihre Erbringung genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt.

Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass ein Steuerpflichtiger, der sich an der Erbringung einer elektronischen Dienstleistung beteiligt (indem er beispielsweise eine Online-Plattform für ein soziales Netzwerke betreibt) und dem es dabei gestattet ist, die Erbringung der Dienstleistungen zu genehmigen oder ihre Abrechnung zu autorisieren oder auch die allgemeinen Bedingungen ihrer Erbringung festzulegen, die Möglichkeit hat, einseitig wesentliche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Dienstleistung festzulegen, und zwar ihre Durchführung und den Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet, oder die Bedingungen, unter denen die Gegenleistung fällig wird, oder auch die Regeln, die den allgemeinen Rahmen für diese Dienstleistung bilden. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität, die sich in ihnen widerspiegelt, ist der Steuerpflichtige mit Recht als Dienstleistungserbringer im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen.

Nach Abschluss seiner Prüfung entschied der Gerichtshof, dass der Rat, indem er die streitige Bestimmung der Durchführungsverordnung erlassen hat, sich darauf beschränkt hat, die Mehrwertsteuerrichtlinie zu präzisieren, ohne sie zu ergänzen oder zu ändern. Die Prüfung der Vorlagefrage hat folglich nichts ergeben, was die Gültigkeit der streitigen Bestimmung der Durchführungsverordnung berühren könnte.

Praxistipp

Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden. Die Entscheidung, die vordergründig zum britischen Umsatzsteuerrecht vor dem Brexit ergangen ist, bindet damit auch die deutschen Gerichte – mithin insbesondere den BFH und die Finanzgerichte.

fundstelle
EuGH 28.2.23, C-695/20, Fenix International